Taranaki Crossing Neuseeland: Wie ich eine 3-Tages-Tour aus Versehen in 8 Stunden wanderte

Taranaki Crossing Neuseeland

Mein Wecker klingelt um 6.30 Uhr. Auf dem Balkon meines Hostels in New Plymouth trinke ich gemütlich meinen Kaffee und genieße die ersten Sonnenstrahlen. Heute werde ich die Tageswanderung ‚Taranaki Pouakai Crossing‘ machen. Ich packe Brote, Äpfel und drei Liter Wasser als Proviant ein.

Wenig später steht Rob mit seinem kleinen Taranaki Shuttle Bus am Hostel und holt mich ab. Ich lerne Ben kennen, einen Kanadier, der den 25 Kilometer langen ‚Pouakai Circuit‘ in drei Tagen, also mit zwei Übernachtungen auf den Berghütten, machen möchte. Rob bringt uns zum 30 Minuten entfernten Egmont Visitor Center, dem Startpunkt aller Wanderungen rund um den Mount Taranaki.

Am Visitor Center starten an diesem Morgen keine anderen Menschen und ich bin die Einzige, die die Tagestour startet. Wunderbar, denn auf eine Wanderung a la Trampelpfad im Gänsemarsch habe ich keine Lust. Ich möchte alleine sein.

Rob erklärt mir die einzelnen Stops auf meiner Route. Er sagt, dass ich zwei Berge überqueren und dann zu einem See kommen würde, in dem sich der Mount Taranaki an klaren Tagen spiegelt. Dieses Postkartenmotiv habe ich schon tausend Mal gesehen und freue mich wie Bolle auf den Ausblick. Am See soll ich meine Pause machen, meint Rob, bevor es ganz locker zum letzten Teil der Wanderung geht. Um 16.30 Uhr würde er mich an einem Punkt einsammeln, von dem ich ehrlich gesagt bis heute noch nicht weiß, wo dieser sein soll.

Taranaki Pouakai Crossing

Er zeigt mir den groben Verlauf meiner Wanderung auf einer Karte, die man kaufen kann. Ich kaufe sie nicht. Dumme Entscheidung! Ich gehe naiverweise davon aus, dass (wie in jedem anderen Nationalpark in Neuseeland) überall große Karten mit You-are-here-Punkten aufgestellt sind. Wie sich später herausstellt, ist das ein riesengroßer Fehler.

Ich starte also alleine und völlig planlos eine ziemlich anspruchsvolle Tageswanderung. Zuerst laufe ich 20 Minuten durch einen kühlen Regenwald. Dann stehe ich plötzlich vor dem wunderschönen Mount Taranaki. Der Himmel strahlt in seinem schönsten Blau, die Sonne lacht und mein Herz macht Luftsprünge.

Taranaki Crossing Neuseeland

Die schneebedeckte Spitze des Mount Taranaki im Blick, geht es am unteren Hang des Berges steil nach oben. Ich drehe die Musik auf meinen Ohren lauter und marschiere munter den Berg hinauf. Der Weg ist im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend und die Aussicht genial. Noch genieße ich es alleine zu sein. Keine Menschenseele begegnet mir. Wandern ist an diesem Tag meine Meditation.

Hier kannst du wunderbar den Weg sehen, der sich über den Rücken der Berge schlängelt:

Taranaki Crossing Neuseeland

Taranaki Crossing Neuseeland

Die Wanderung führt mich über große Steine, Matsch, Wurzeln, kleine Bäche und endlos viele Stufen. An den Hängen wächst wunderschönes gelbes Gras und die Landschaft ändert sich im Minutentakt. Es ist herrlich! Nachdem ich die ersten Höhenmeter überwunden habe, werde ich mit einer unglaublichen Aussicht belohnt.

Taranaki Crossing Neuseeland

Plötzlich schlägt das Wetter um. Dichter Nebel zieht auf und ich sehe kaum mehr als eine weiße Wand vor meinen Augen. Menschen sind mir an diesem Morgen immer noch nicht begegnet. Ich bin völlig alleine in dieser dramatischen Landschaft unterwegs, muss über Felsen klettern und rutsche immer wieder an losen Steinen ab.

Was wenn ich umknicke und mich verletze? Ich bekomme ein mulmiges Gefühl so ganz alleine in den Bergen bei dichtem Nebel und schlechter Sicht.

Taranaki Crossing Neuseeland

Nach 2,5 Stunden komme ich an meinem ersten Stop, der Übernachtungshütte Holy Hut, an. An der Hütte teilt sich der Weg in mehrere Tracks, von denen zu meiner großen Überraschung keiner ‚Taranaki Pouakai Crossing‘ heißt. Scheiße! Was nun?

Ich entscheide mich für den Weg, der am sympatischsten wirkt und folge ihm 15 Minuten lang, doch mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich umdrehen soll. Dieser Weg ist falsch. Ich muss zurück! Verdammt, wo bin ich nur?

Ich laufe zurück zur Hütte, in der Hoffnung eine Karte oder ein Hinweisschild zu finden. Vergebens. Ich werde nervös, bekomme Angst. Ich schalte den Flugmodus meines Handys aus, um im Internet nach den Zwischenstationen meines Tracks zu schauen. Wie zu erwarten, habe ich hier oben natürlich keinen Empfang. Ich kann nicht einmal Rob anrufen, um ihn nach dem Weg zu fragen. Fuck!

Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich für einen der Wege zu entscheiden und zwar aus dem Bauch heraus. Ich wähle eine andere Richtung und lasse mich überraschen. Dumm nur, dass es hier circa 10 verschiedene Tracks gibt. Alle sind unterschiedlich lang, viele davon sind mehrtägige Wanderungen und ich habe weder eine Karte noch einen Schlafsack dabei.

Plötzlich stehe ich vor dem Schild ‚Pouakai Track‘. Erleichtert folge ich dem Weg, gehe davon aus, dass ich richtig bin und freue mich darauf, bald am Bergsee anzukommen.

Der Nebel wird dichter, die Luft kälter. Obwohl ich klitschnass geschwitzt bin und mein Gesicht glüht, friere ich. Nun geht es fast zwei Stunden lang bergab. Bei den vielen Stufen fühlen sich meine Beine an wie Wackelpudding. Wann kommt endlich dieser blöde See?

Taranaki Crossing Neuseeland

Nachdem ich den Berg hinunter gewandert bin, geht es wieder bergauf. Es ist furchtbar anstrengend, aber der Weg ist wunderschön und ich habe ein ordentliches Tempo drauf. Es wird immer steiler und steiler. Die Stufen machen mich völlig fertig. Der Schweiß rennt und meine Beine werden immer schwerer.

Auf der Spitze des Berges habe ich keine Sicht. Mount Taranaki versteckt sich irgendwo in diesem weißen Nebelfeld und ich sehe rein gar nichts.

Wenig später erreiche ich ein riesiges gelbes Feld mit einem kleinen Bach und einer Holzbrücke. Die Landschaft gleicht der in einem Bilderbuch. Es ist wunderschön. Wenn ich doch nur wüsste, wo ich bin.

Taranaki Crossing Neuseeland

Es geht schon wieder bergauf und dieses Mal noch steiler. Es gibt weder Schilder noch Kilometerangaben. Mir bleibt nichts anderes übrig, als dem Weg zu folgen und die Treppenstufen hinaufzusteigen. Umkehren und den ganzen Weg zurückgehen kommt nicht in Frage!

Taranaki Crossing Neuseeland

„Congratulations! You’ve made it to the top of Henry Peak,“ steht auf der Spitze des Berges. Ich befinde mich in 1.224 Metern Höhe auf dem Mount Henry, dem dritten Berg meiner Wanderung. Hatte Rob nicht was von zwei Bergen gesagt? Verdammt, wo bin ich hier bloß gelandet? Mein Puls rast wie wild, nicht nur von der Anstrengung, sondern auch vor Angst. Ich will hier weg!

Taranaki Crossing Neuseeland
Taranaki Crossing Neuseeland

Mein Körper schreit nach einer Pause, meine Füße müssen dringend ausruhen und ich habe einen Bärenhunger. Ich lasse mich auf den kalten Boden fallen, um ein wenig zu verschnaufen, doch plötzlich fängt es an zu regnen. Auch das noch!

Ein Sturm zieht auf. Ich friere und marschiere weiter so schnell ich kann. Ich will endlich ankommen und vor allem will ich gottverdammt wissen, wo ich bin. Ich habe komplett die Orientierung verloren.

Taranaki Crossing Neuseeland

Nach dem Abstieg von Mount Henry komme ich in einen dicht bewachsenen Urwald. Weit kann es also nicht mehr sein. Enden nicht alle großen Wanderungen mit einem Dschungel am Fuße des Berges?

Es ist erst 13 Uhr. Rob hatte gesagt, dass ich langsam gehen und ordentliche Pausen machen könne, um pünktlich am Ende des Tracks zu sein. Bei meinem Tempo müsste ich also längst am Ziel sein. Der See kam allerdings immer noch nicht. Nach weiteren 1,5 Stunden ist kein Ende in Sicht. Ich habe mich total verlaufen! Mein Herz schlägt immer schneller. Panik breitet sich aus.

Meine Beine werden schwach und trotzdem renne ich weiter und weiter. Ich rutschte im Matsch aus, knicke um und will am liebsten losheulen. Ich bin am Ende meiner Kräfte.

Plötzlich stehe ich vor einem Fluss. Mir bleibt nicht anderes übrig, als ihn zu durchqueren, denn der Weg führt am anderen Ufer weiter. Ich kletterte über die großen Steine und rutschte ab. Bis zu den Knien stehe ich im eiskalten Wasser und möchte schreien!

Ich bin ganz alleine in diesem unheimlichen, riesengroßen Wald. Wie soll ich hier jemals wieder rausfinden? Wieso habe ich dumme Kuh keine Karte dabei?

Völlig verzweifelt folge ich dem Weg, der plötzlich im Nichts endet und erst mehrere hundert Meter weiter geht. Immer wieder verliere ich den Track. Es gibt weder Wegweiser noch eine ausgetretene Spur. Mit zitternden Beinen klettere ich über umgefallene Baumstämme. Ich kann nicht mehr!

Ich komme mir vor, wie in einem riesigen Labyrinth. Das darf doch nicht wahr sein! Renne ich etwa im Kreis?

Endlich endlich endlich stehe ich vor einem Schild, das den Weg in verschiedene Richtungen weist. Links geht es zum Visitor Center (1,5 Stunden), rechts zur Egmont Road (45 Minuten) und geradeaus gibt es weitere Tracks, die drei bis sechs Stunden dauern sollen. ‚Taranaki Pouakai Crossing‘ steht hier nirgends! Ich entscheide mich für den kürzesten Weg und gehe Richtung Egmont Road.

Gute Entscheidung! Ich scheine mich der Zivilisation zu nähern, denn mein Handy erwacht zum Leben. Ich habe Empfang! Sofort rufe ich Rob an. Zum Glück hat er mir überhaupt seine Nummer gegeben! Ich Vollidiot hätte wahrscheinlich nicht daran gedacht. Mit zitternder Stimme sage ich: „Rob, this is Julia. I’m totally lost!“

Er fragt mich wo ich bin. „Haha, du Scherzkeks, wenn ich das wüsste,“ denke ich und sage: „In 30 Minuten an der Egmont Road“. Rob brüllt lachend in den Hörer: „Whaaaat? You did the whole 3-day tour in 8 hours??? No worries, I know where you are. Keep on going Julia.“

Anscheinend endet auch die Egmont Road am Visitor Center und ich marschiere erleichtert weiter. Meine Haare kleben, ich bin dreckig und klitschnass. Meine Haut ist salzig, mein Hals ausgetrocknet. Die drei Liter Wasser sind bereits ausgetrunken.

Nach 30 Minuten erreiche ich endlich die asphaltierte Straße. Mir fällt ein Felsbrocken vom Herzen. Endlich bin ich aus diesem beschissenen Wald raus! Weitere 40 Minuten lang gehe ich die steile Straße hinauf. Mein Gesicht glüht vor Hitze.

Um 16.04 Uhr komme ich endlich am dem Visitor Center an, an dem ich am Morgen gestartet bin. Ich habe genau acht Stunden für den 3-Tages-Track ‚Pouakai Circuit‘ gebraucht, den ich eigentlich gar nicht gehen wollte. Ben, der Kanadier, läuft den gleichen Weg und wird erst Übermorgen hier ankommen.

Auf der Toilette wasche ich mein Gesicht und trinke am Wasserhahn. Ich bin total ausgehungert und kaputt. Meine Beine sind schwer wie Blei. Wie erschossen lege ich mich auf den Asphalt. Mein Herz pocht wie wild und ich bin heilfroh, dass diese Wanderung so glimpflich ausgegangen ist.

Um 16.30 Uhr kommt Rob, wie vereinbart, mit dem Shuttle Bus angerauscht. Er sammelt mich und zwei Mädels ein, die den gleichen Track gewandert sind, allerdings in drei Tagen und nicht in acht Stunden! Rob klopft mir auf die Schulter und lacht mich aus. Erschöpft lasse ich mich auf den Beifahrersitz fallen. Die Angst löst sich langsam in Luft auf.

Während der Fahrt sagt Rob: „You’re doing good Julia. You’re still awake! Most people fall asleep in the car after their walk.“ Zum Schlafen bin ich viel zu aufgewühlt. Zurück im Hostel wissen anscheinend alle schon von meiner Aktion, denn ich werde herzlich empfangen und ausgefragt.

Nach einer heißen Dusche liege ich völlig erschlagen im Bett. Meine Beine schmerzen und ich muss über mich selber lachen. Was für eine verrückte Horror-Wanderung am Mount Taranaki.

Teilen:
Das wird dir auch gefallen