Ort der Besinnung: Der heilige Zahntempel in Kandy
Dass ein simpler Eckzahn so voller Hingabe verehrt wird, wäre mir niemals in den Sinn gekommen. Doch ich werde eines Besseren belehrt, als ich mit nackten Füßen zwischen hunderten von Gläubigen im Sri Dalada Maligawa, dem heiligen Zahntempel in Kandy, stehe und gespannt auf die Öffnung des goldenen Schreins warte, hinter dem sich der kostbarste Schatz für alle Theravada Buddhisten verbirgt.
Der Zahntempel in Kandy
Der Temple of the Sacred Tooth Relic (im Deutschen liebevoll Palast der heiligen Zahnreliquie oder auch einfach nur Zahntempel genannt) ist eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten in Sri Lanka. Er befindet sich am künstlich angelegten Milchsee in der letzten Königsstadt Kandy, im Zentrum des wundervollen Landes.
Hunderte Menschen aus aller Welt pilgern täglich hierher, denn in Kandys Zahntempel befindet sich die am meisten verehrte Reliquie der Buddhisten Sri Lankas: Der linke Eckzahn des historischen Buddha Siddharta Gautama.
Besuch im Zahntempel
Vor dem Gebäude gebe ich meine Schuhe ab. Barfuß laufe ich über den von der Sonne aufgeheizten Steinboden, steige die Treppenstufen hinauf, laufe über den Wassergraben und gelange durch einen mit prunkvollem Gold verzierten Eingang in das Innere des Tempels.
Der angenehme Geruch von Sandelholz und Räucherstäbchen ummantelt meinen Körper, als ob er mich daran erinnern möchte, dass ich heiligen Boden betrete. Mein Puls fährt augenblicklich ein paar Takte runter und ich fühle mich so leicht und unbeschwert, als würde ich auf Wolken schweben.
Beim Schlendern durch die heilige Stätte fallen mir besonders die wunderschönen Holzschnitzereien an den Decken sowie die bunt verzierten Säulen auf. Buddha ist hier allgegenwärtig. Überall stehen, liegen und sitzen Figuren des Erleuchteten, des großen Lehrers. An jeder Ecke gibt es ein weiteres Detail zu entdecken, das meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich lasse mich treiben und versuche alle Eindrücke wie ein Schwamm aufzusaugen.
In einem der Räume wird die Geschichte des hoch verehrten und gefeierten Eckzahnes anhand von bunten Gemälden erzählt. Glaub mir, was der Zahn schon alles erlebt hat, ist in der Tat ziemlich abenteuerlich. In der Kurzversion klingt seine Odyssee in etwa so:
Nachdem Siddharta Gautama als Buddha in Indien starb und verbrannt wurde, barg man aus seiner Asche einen Schlüsselbeinknochen und vier Zähne, darunter den berühmten linken Eckzahn, den ich hoffentlich heute zu sehen bekomme. 800 Jahre lang wurde der Zahn in einem Schrein in Nordindien aufbewahrt, den ein König extra für diesen Zweck errichtet hatte.
Plötzlich tauchte ein Hindu Herrscher auf, dem die Verehrung der Reliquie gar nicht gefiel. Er raubte den Eckzahn und warf ihn ins Feuer. Doch aus den Flammen erhob sich eine Lotusblüte, die ihre Blätter schützend um die heilige Reliquie legte. Wutentbrannt versuchte der Hindu den Zahn zu zerschmettern, wobei sein Hammer zersprang. Völlig empört warf er ihn in einen Teich und wieder umhüllte ihn eine Lotusblüte. Letztendlich gab er das gute Stück reumütig dem König zurück.
Dieser schickte den Zahn des Buddha, im Haar seiner Tochter versteckt, auf die Insel Lanka. Dort glaubte der indische König die heilige Reliquie in Sicherheit. Von da an nahm jeder regierende König in Sri Lanka den Zahn mit in seine jeweilige Hauptstadt und baute ihm einen Tempel. Nun hat er hier im Sri Dalada Maligawa, dem heiligen Zahntempel, seinen endgültigen Platz gefunden. So weit so gut, heute möchte ich das verdammte Ding sehen!
Doch nicht nur des Zahnes wegen, ist der Zahntempel ein sehenswerter Ort. Die komplette Anlage um den heiligen Schrein herum erstreckt sich über ein weitläufiges Areal und ist unglaublich eindrucksvoll.
Hunderte von Räucherstäbchen brennen in riesigen, steinernen Gefäßen und verbreiten den Duft, den ich so sehr liebe. Sie dienen als Opfergaben und werden von einheimischen Frauen in hübschen weißen Gewändern angezündet, um Buddha Ehre zu erweisen.
Auch die Mönche in ihren rot- und orangefarbenen Roben und den kahl rasierten Köpfen schleichen barfuß durch die heiligen Hallen und die Außenanlagen des Tempels. Sie lächeln freundlich.
In einem kleinen Haus aus Glas zünden Besucher Kerzen und Butterlampen an, die auf eisernen Gerüsten still vor sich hin glimmen. Sie verleihen dem Ganzen eine besonders feierliche Atmosphäre, die hier, im Zahntempel von Kandy, sowieso schon sehr spirituell und ergreifend ist.
Hindu-Götter und ihre Devale
Nur wenige Schritte weiter finde ich mich plötzlich im Hinduismus wieder, denn rund um den Zahntempel befinden sich mehrere überdachte Schreine (Devale), die hinduistischen Göttern geweiht sind. Auch hier legen die Gläubigen ihre mitgebrachten Opfergaben nieder, meditieren in Stille oder rezitieren heilige Mantras.
Mal wieder wird mir, wie schon so oft in Sri Lanka, die Koexistenz der beiden Religionen, bewusst. Warum funktioniert so etwas nicht überall auf der Welt? Es wäre so einfach!
Der spirituelle Bodhi Baum
Auch ein heiliger Bodhi Baum, ähnlich wie der in Anuradhapura, darf auf dem großen Areal des heiligen Zahntempels nicht fehlen. Um ihn herum, tausende Gebetsfahnen und Buddha Figuren.
Tief berührt von der Szenerie, die sich mir bietet, lasse ich mich auf dem Sandboden vor dem Baum nieder und schaue einfach nur zu, wie die Gläubigen den knorrigen Baum im Uhrzeigersinn umrunden. Dreimal tun sie das, um Buddha und seiner Lehre Respekt zu erweisen. Dabei scheinen sie hochkonzentriert zu sein, murmeln Gebete und tragen ein Gefäß mit Wasser vor sich her. Nach drei Runden kippen sie das Wasser an die Wurzeln des Bodhi Baumes. Andere knoten bunte Gebetsfahnen an den goldenen Zaun, verweilen im Schatten, beten und meditieren.
Wer die Menschen Sri Lankas verstehen möchte, der muss sich nur mal eine Stunde hierher setzen, denn an diesem Ort bekommt man einen sehr guten Eindruck davon, wie tief die Einheimischen mit ihrer Religion verwurzelt sind. Die Heiligkeit, die Hingabe, mit der die Gläubigen ihre Opfer bringen, die Ruhe und Gelassenheit, die sie ausstrahlen, einfach alles an diesem wundervollen Ort der Besinnung verzaubert mich. Die besondere Atmosphäre nimmt mich gefangen und ich möchte ewig hier sitzen bleiben.
In Tagträumen versunken, merke ich nicht, wie schnell die Zeit verstreicht. Die Sonne steht bereits tief am Himmel und wartet darauf unterzugehen. Es wird Zeit zum Haupttempel zurückzukehren, denn gleich findet die Zeremonie statt, bei der der Zahn des Buddha der Öffentlichkeit präsentiert wird.
Der heilige Schrein im Zahntempel
Je mehr ich mich dem Hauptkomplex nähere, desto mehr Menschen begegnen mir. Alle, abgesehen von den Touristen, sind ganz in Weiß gekleidet und strömen in den dritten Stock, wo die heilige Reliquie hinter einer schweren Tür aufbewahrt und bewacht wird. In ihren Händen halten die Menschen bunte Lotusblumen, ein wichtiges Symbol im Buddhismus.
Sie stehen für geistiges Wachstum, weil ihre Stängel und Blüten aus schlammigem Grund der Sonne entgegen wachsen, ohne dabei vom Schlamm beschmutz zu werden. Im Allgemeinen stehen Blumenopfer für den Zerfall, denn sie erinnern daran, dass jeder menschliche Körper mit der Zeit wie eine Blume verwelkt. Ein schöner Gedanke.
Mehr und mehr Menschen versammeln sich um den heiligen Schrein. Pünktlich um 18.30 Uhr beginnt ein ohrenbetäubender Trommellärm, der ankündigen soll, dass der oberste Mönch auf dem Weg ist, um vor der Zahnreliquie zu beten.
Unten, im ersten Stock, hat sich bereits eine lange Schlange aus andächtigen Einheimischen und neugierigen Touristen gebildet. Im Gänsemarsch geht es voran Richtung Schrein. Geduldig warten sie darauf, dem Heiligtum näher zu kommen und einen Blick auf die Reliquie werfen zu dürfen.
Sobald sie den Schrein erreicht haben, nimmt ein Mönch die Opfergaben entgegen. Dankend sieht er dabei nicht aus. Aber so ist das nun mal im Buddhismus, denn vielmehr müssen die Spender dankbar sein, dass ihre Gaben angenommen werden.
Ganz selbstlos ist diese Spenderei übrigens nicht, denn Wohltätigkeit ist eine Einzahlung auf das Karmakonto. Wer sich in diesem Leben großzügig gibt, erhält im nächsten Leben etwas zurück.
Hinter dem Rücken des Mönchs glänzt das goldene Kästchen mit der sagenumwobenen Reliquie. So sehr ich meine Augen auch anstrenge, von weitem kann ich nichts Genaues erkennen. Wo ist denn nun der verdammte Zahn?
Neben mir drängt sich eine Horde von respektlosen Touristen, mit dicken Kameras bewaffnet, vor den Schrein. Sie schubsen und benehmen sich unangebracht. Ich schäme mich dafür, ein Tourist zu sein und doch kann ich verstehen, dass jeder einen Blick auf Buddhas Eckzahn erhaschen möchte. Aber geht das nicht auch etwas respektvoller und mit Rücksicht auf die Heiligkeit der Zeremonie?
Als die Menschenmassen nach und nach verschwinden und der Mönch kurz davor ist, den heiligen Schrein wieder zu verschließen, bietet sich mir ein ungehinderter Blick auf das Heiligtum. Ich sehe: NICHTS!
Wie ich später erfahre, bleibt der Eckzahn Normalsterblichen wie mir verborgen. Er ist im Innersten von sieben goldenen, ineinander verschachtelten Schatullen versteckt und vielleicht wird niemals jemand erfahren, ob es tatsächlich der Zahn des Erleuchteten ist. Aber darum geht es im heiligen Zahntempel von Kandy gar nicht.
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Kathi
Huch, gerade erst bemerkt, dass du ein neues Blogdesign hast – gefällt mir total gut!
Der Tempel sieht unglaublich beeindruckend aus und deine Fotos find ich super :)
Liebe Grüße,
Kathi
Julia
Danke liebe Kathi!
Das neue Design gibts auch erst seit gestern.
Freut mich, dass es dir gefällt.
Und der Tempel ist wirklich ein beeindruckender Ort.
Alles Liebe,
Julia
Ariane
Ein toller Artikel! Die Atmosphäre des Ortes ist wirklich spürbar in deinen Worten – und irgendwie ist es doch schön, dass der Zahn letztendlich sogar zu heilig für die Öffentlichkeit ist. So ein bloßer Zahn würde ja wahrscheinlich weniger gut zur heiligen Atmosphäre passen als eine Goldschatulle ;)
Julia
Hi Ariane,
danke für deinen Kommentar! Ich glaube auch, dass der Zauber um den heiligen Zahn vielleicht gerade deshalb so toll ist, weil man nicht zu sehen bekommt. So kann sich jeder seine eigene Vorstellung machen :)