Mitternachtssonne in Norwegen: Naturwunder am Nordkap
Ein Montag im Juni 2014. Ich stehe auf dem Außendeck und friere. Die Schiffsuhr zeigt 2.15 Uhr in der Nacht, die Temperatur drei Grad. Mein Körper ist völlig verwirrt. Eigentlich müsste es um diese Uhrzeit stockdunkel sein, doch draußen ist es taghell. Die Sonne scheint und vor mir liegt eine traumhafte Kulisse aus schneebedeckten Bergen und tiefblauem Wasser.
Das Kreuzfahrtschiff liegt in Honningsvåg, einem idyllischen Fischerörtchen im Norden Norwegens, das sich fälschlicherweise als nördlichste Stadt Europas bezeichnet. Seit sechs Uhr heute Morgen (oder besser gesagt gestern Morgen) bin ich bereits auf den Beinen. Den ganzen Tag stand ich bei klirrender Kälte auf der Pier, um bei der Abwicklung der Touristenbusse zu helfen, die die Gäste zu ihren Ausflugszielen bringen.
Die meisten von ihnen fuhren zum etwa 40 Kilometer entfernten Nordkap, einer steil aus dem Meer emporragenden Felsklippe, die das nördliche Ende Europas markiert. Genau genommen ist der große Globus auf dem Aussichtsplateau, vor dem sich die Nordkap-Besucher fotografieren lassen, gar nicht der nördlichste Punkt Europas. Eine Landzunge, nicht weit vom Kap entfernt, liegt viel nördlicher. Aber das ist den Besuchern herzlich egal und mir sowieso, denn ich schaffe es heute eh nicht die metallene Weltkugel zu besuchen. Vielleicht beim nächsten Mal?!
Mittlerweile habe ich Feierabend. Schlafen möchte ich trotzdem nicht. Zu aufregend ist das Naturspektakel, was sich uns hier, oberhalb des Nördlichen Polarkreises, bietet. Es ist die Zeit der Mitternachtssonne im Nordland. Das bedeutet, dass die Sonne während der Sommermonate nicht unter den Horizont sinkt.
Wenn der Himmel nicht gerade bewölkt ist, scheint 24 Stunden am Tag die Sonne. Dunkel wird es zwei Monate lang überhaupt nicht. Völlig fasziniert beobachte ich, wie die Sonne kurz vor dem Horizont ihren tiefsten Stand erreicht, um dann wieder aufzusteigen. Tag und Nacht verschmelzen und die Zeit verliert somit ihre Bedeutung. Ein wahnsinniges Erlebnis!
Für einen kurzen Moment beneide ich die Skandinavier um das Phänomen der nicht untergehenden Sonne. Was man in dieser Zeit alles anstellen könnte! Ein einziger Sommertag kann hier Wochen, ja sogar Monate dauern. Ist das nicht genial?
Vielleicht sollte ich nach Norwegen ziehen. Tagein tagaus könnte ich mich von der märchenhaften Landschaft verzaubern lassen und das Sonnenlicht genießen. Abends würde ich in meinem kleinen roten Holzhäuschen mit Blick auf die Fjorde sitzen, mich in meinen blau-weißen Norwegerpulli kuscheln und vor dem warmen Kaminfeuer stapelweise Bücher lesen…
Im Winter allerdings zeigt sich die Kehrseite des Naturwunders: die Polarnacht. Etwa zwei Monate lang lässt sich die Sonne nicht blicken und die Menschen bekommen keinen einzigen Sonnenstrahl zu spüren. Schnell werfe ich meine Traumvorstellung vom Leben in Nordnorwegen über Bord.
So gerne ich auch die grün-leuchtenden Polarlichter im Winter einmal erleben möchte und mir die Stimmung einer Polarnacht wirklich magisch vorstelle, möchte ich doch keine zwei Monate ohne Licht und Wärme verbringen. Das stelle ich mir nämlich ganz schön düster und unglaublich einsam vor.
Von der Reling aus blicke ich auf die bunten Häuschen von Honningsvåg, die sich an den Fuß des Berges schmiegen. Ob die Bewohner wohl wach sind und die Mitternachtssonne feiern? Oder ist es ihnen wohl völlig wurst, weil total normal, dass die Sonne nachts nicht untergeht?
Der eiskalte Wind bläst mir um die Ohren und ich fühle mich wie in einem skandinavischen Wintermärchen. Plötzlich fallen Schneeflocken vom Himmel. Ein ziemlich irrsinniges Gefühl, mitten im Juni bei Eis und Schnee im Nordland zu stehen und die faszinierende Fjordlandschaft zu bewundern. 2014 ist klimatechnisch wirklich ein komisches Jahr für mich. Die Jahreszeiten sind völlig verdreht.
Im Februar, als in Deutschland fleißig Schnee geschippt wurde, tropften mir die Schweißperlen von der Stirn, denn ich lebte mit meiner Schwester in einem klapprigen Campervan in Australien. Jetzt im Juni, wo in Deutschland der Sommer ausbricht und meine Freunde mir lustige Fotos vom Badesee schicken, stehe ich in Norwegen und friere mir bei drei Grad den Hintern ab. Verrückte Welt!
Mittlerweile ist es 3.30 Uhr. Ich spaziere eine letzte Runde über das Schiff. So leer habe ich das Deck der Passagiere selten erlebt. Normalerweise liegen sie hier wie die Ölsardinen, Liege an Liege nebeneinander gepresst, in der Sonne und genießen ihren wohlverdienten Urlaub. Natürlich nicht nachts und natürlich nicht bei drei Grad.
Nun wird es auch für mich Zeit dem Tageslicht goodbye zu sagen und in meine dunkle Kabine zu verschwinden. Schließlich haben wir Morgen einen anstrengenden Arbeitstag vor uns.
An der norwegischen Westküste entlang fährt das Kreuzfahrtschiff nun zurück Richtung Deutschland. Vorher legen wir aber noch einen Stop in der norwegischen Stadt Tromsø ein.
Hast du schon einmal das wundervolle Phänomen der Mitternachtssonne in Norwegen erlebt? Oder warst du vielleicht schon mal (mit oder ohne Kreuzfahrtschiff) am Nordkap?
Ich freue mich auf deinen Kommentar!
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gardaseepur
das klingt einzigartig…ich wollte diese Länder immer schon einmal besuchen, habe es aber noch nie geschafft….Irgendwann mal….
Julia
Skandinavien ist ein Traum! Ziemlich teuer, aber die Natur ist unbedingt sehenswert.
Conny Lomoherz
Ich würde total gerne mal die Mitternachtssonne sehen! Und die Nordlichter!
Also auf nach Norwegen ;)
Julia
Hallo Conny,
die Nordlichter würde ich auch wahnsinnig gerne
mal sehen. Das steht auch auf meiner Wunschliste :)
Alles Liebe, Julia
Sina
Liebe Julia,
Norwegen ist mein absolutes Lieblingsland! Die Natur ist einfach traumhaft!
Eigentlich war bei mir letztes Jahr eine Tour mit meinem Bulli in den hohen Norden geplant, aber Corona kam dazwischen. Vom Schiff aus sieht es auch absolut gigantisch aus und deine Bilder haben mein Fernweh mal wieder verstärkt. Ich hoffe sehr, dass wir bald wieder entspannt reisen können.
Liebe Grüße aus dem Münsterland,
Sina