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12 Lektionen, die ich bei den Beduinen in der Wüste gelernt habe

Von
Ägypten

Die Wüste hat mich verändert. Sie hat mich achtsamer und demütiger werden lassen. Sie hat mir gezeigt, was es bedeutet, in der freien Natur zu leben und sich dem Rhythmus der Gestirne anzupassen. Die Wüste hat mir den unbezahlbaren Luxus der Stille geschenkt und sie hat mich zu dem zurückgeführt, was ich in den letzten Jahren verloren hatte.

Welche 12 Lektionen ich bei den Beduinen in der Wüste gelernt habe, verrate ich in diesem Beitrag.

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#1 Loslassen

Meine erste große Lektion, die ich gleich zu Beginn der Wüstenreise lernen musste, war das Loslassen. So blöd es vielleicht klingen mag, aber es fiel mir unglaublich schwer, mein IPhone mit dem Wissen auszuschalten, dass ich zehn Tage lang nicht erreichbar sein werde. Nicht mal eine SMS mit „Es geht mir gut“ konnte ich aus der Wüste versenden. Welch ein Glück, denn es war eine der wichtigsten Lektionen von allen.

Als ein Kind der Generation Smartphone, kann ich mich nicht daran erinnern, jemals so lange am Stück offline gewesen zu sein. Die Älteren unter euch können sich vielleicht noch besser an Zeiten erinnern, in denen es ganz normal war, während einer Reise mehrere Wochen lang nicht mal ein Lebenszeichen an die Eltern senden zu könnten. Ich jedenfalls habe das nie so erlebt, denn seitdem ich reise gibt es Smartphones und Internet. Wie schade eigentlich.

In der Wüste ging es bei mir natürlich nicht nur darum, mich bei meinen Liebsten zu Hause zu melden, sondern das Loslassen betraf bei mir noch ganz andere Dimensionen, die über mein Privatleben hinaus gehen, denn schließlich spielt sich meine Arbeit, all das, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene, ebenfalls in der Online-Welt ab. Ich musste lernen, die Dinge einfach mal ohne mein Einwirken passieren zu lassen, musste meinen Kontrollzwang und den Perfektionismus ablegen und darauf vertrauen, dass der Blog, ja mein ganzes Unternehmen, auch mal zwei Wochen ohne mich auskommt.

Ich musste mir diese Auszeit wirklich bewusst machen, musste lernen abzuschalten und auch im Kopf meine Arbeit endlich mal loszulassen. Das habe ich in den letzten fünf Jahren auf keiner Reise mehr erlebt. In der Wüste ist es mir tatsächlich gelungen.

In Zukunft werde ich mir öfters mal einen freien Tag gönnen, mir Urlaub nehmen und mich wieder mehr auf mein Privatleben konzentrieren, denn das Loslassen hat mir verdammt gut getan.

Wüste Sinai Kamele

#2 Im Rhythmus der Natur leben

In der Wüste gab es keine Straßenbeleuchtung, keine schützenden Hauswände, kein Dach über dem Kopf, keine Wegweiser. Wir lebten in der freien Natur, bei Hitze und bei Kälte, und wir schliefen auf dem Erdboden unter dem Sternenhimmel. Unseren Lebensrhythmus passten wir voll und ganz den Gestirnen an. Wir standen mit der aufgehenden Sonne auf und krochen mit dem aufgehenden Mond in die Schlafsäcke. Auch unseren Tagesablauf, das Reiten und Gehen, machten wir von der Hitze der Sonne abhängig.

Zu Hause schalten wir das Licht an, wenn es draußen dunkel wird und machen somit die Nacht zum Tag. Oft sehen wir den Mond gar nicht am Himmel leuchten, viele Menschen nehmen nicht einmal mehr wahr, ob er abnehmend oder zunehmend ist und auch für den Sternenhimmel ist es in den Großstädten oft viel zu hell oder wir schauen einfach gar nicht hin. Den Bezug zu den Gestirnen haben wir in unserer Welt fast völlig verloren.

In der Wüste hingegen, lernte ich, mich einer Kraft unterzuordnen, die stärker ist. Ich lernte im Rhythmus der Natur zu leben, brauchte morgens keinen Wecker und schlief am Abend besser ein, als ich es in meinem Bett zu Hause jemals getan habe, wenn mich die Gedanken an meine To Do Liste mal wieder wachhielten.

Wüste Wüstensand

#3 Wasser wertschätzen

Zu Hause sprudelt frisches Wasser selbstverständlich aus der Leitung und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. Obwohl ich sehr sparsam mit Wasser umgehe, kann ich duschen so lange ich möchte, ich kann meine Blumen gießen, mit Wasser putzen und kochen und es ist sogar so sauber, dass ich es trinken kann ohne davon krank zu werden.

In der Wüste gibt es diesen Luxus nicht. Hier musste die gesamte Gruppe darauf vertrauen, dass die Beduinen ausreichend Trinkwasser für jeden Einzelnen von uns eingepackt hatten. Auch Brauchwasser trugen die Kamele in Kanistern für uns durch die Wüste. Damit mussten wir allerdings so sparsam umgehen, dass es gerade einmal zum Zähneputzen und für eine Katzenwäsche am Morgen reichte. Mehr brauchte es auch nicht.

Nach fünf Tagen, in der Hälfte der Wüstenreise, kamen wir an ein winziges Wasserloch mit frischem, eiskaltem Quellwasser. Wir füllten uns flaschenweise etwas ab, um uns hinter einem Felsen mit einem Stück Seife zu waschen. Den Wert von Wasser wieder schätzen zu lernen, dafür ist die Wüste garantiert der richtige Ort.

Wüste Sinai Ägypten

#4 Arabische Kultur verstehen

Nachdem ich 2012 und 2015 so viel Zeit in arabischen Ländern verbracht, die Menschen und deren Kultur verstehen und lieben gelernt habe, veröffentlichte ich einen Guide über die arabische Kultur. Zehn Tage lang mit Beduinen durch die Wüste Sinai zu ziehen, mit ihnen zu leben und von ihnen lernen zu dürfen, hat mein Verständnis noch einmal mehr vertieft.

Die Rolle der Männer und die der Frauen, die Geschlechtertrennung im Alltag, der tiefverwurzelte Glaube an Allah, den Allmächtigen sowie all die Klischees und Vorurteile, die muslimischen Menschen häufig aufgezwungen werden – es tat gut sich noch einmal intensiv mit solchen Themen zu beschäftigen.

Beduinen Wüste

Wüste Sinai

#5 Mit dem Nötigsten auskommen

Was brauche ich wirklich zum Leben? Zum Glücklichsein? Zum Überleben? Das es manchmal durchaus wundervoll ist im Überschuss zu leben und sich jeglichen Luxus in Form eines üppigen Frühstücks oder eines frisch gepressten Orangensaftes zu gönnen, aber auch wie wenig ich tatsächlich zum Leben benötige, das habe ich in der Wüste gelernt.

Alles was ich dort brauchte, wurde auf ein Kamel geladen und das war neben Trinkwasser, einem Schlafsack, einer Isomatte, Thermo-Unterwäsche und ein paar weiten Klamotten nicht viel.

Befreit von allem Überflüssigen, nahm ich meine Bedürfnisse plötzlich viel intensiver wahr und lernte, nur mit dem Nötigsten auszukommen. All der Luxus, an den wir zu Hause gewöhnt sind, erschien mit zeitweise sogar völlig surreal.

In der Wüste brauchte ich keine Schminke, keine zehn Paar Schuhe, nicht mal die sonst so essentiellen Dinge wie Strom, fließendes Wasser, ein Federbett oder ein Dach über dem Kopf. Auch das sonst so machtvolle Geld spielte in der Wüste überhaupt keine Rolle. Ein sehr befreiendes Gefühl.

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#6 Einfach nur sein

Im Alltag ist mein Geist ständig gefordert, abgelenkt, beschäftigt und das nicht nur beruflich, sondern auch privat. Ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Beschäftigung, ohne Aufgaben und ohne Ablenkung, schaffte ich es in der Wüste einfach mal nur zu sein, das Gedankenkarussell zum Stillstand zu bringen, Zeit vergehen zu lassen, zu atmen und bei mir selbst zu sein.

Anfangs fühlte ich mich fast ein wenig nackt, wenn ich nur so dasaß, ohne ein Handy in der Hand, ohne bei aufkommender Langeweile durch den Instagram Feed zu scrollen und sinnlose Likes zu verteilen. Nicht mal ein Buch oder Musik „durfte“ ich zur Ablenkung mit in die Wüste bringen. So wurde ich dazu gezwungen, einfach mal nur zu sein und mich mit meinen eigenen Gedanken auseinanderzusetzen. Hört sich leichter an, als es tatsächlich ist!

#7 Der Stille lauschen

Eine meiner liebsten Lektionen in der Wüste war der Schweigetag. Von früh bis spät durfte kein Wort gesprochen, ja nicht mal Blickkontakt ausgetauscht werden. Jegliche Form der Kommunikation wurde unterbrochen und es war ein echtes Geschenk.

Im Alltag leben wir mit einem ständig lärmenden Hintergrundrauschen, einem Geräuschpegel, den wir oft nicht einmal mehr wahrnehmen. Derart vollgedröhnt, nehmen wir auch unsere innere Stimme kaum mehr wahr. Wir gelangen nicht mehr in die Tiefe und bleiben stattdessen oft oberflächlich.

Der Schweigetag in Wüste hingegen fühlte sich an, als betrete ich einen Tempel der Stille. Selbst der Wind stand an diesem Tag mucksmäuschenstill, sodass ich meinen eigenen Atem hören und meinen Herzschlag spüren konnte. Erst hier wurde mir bewusst, welch eine Sehnsucht ich nach Stille hatte.

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#8 Ein neues Zeitgefühl erleben

Terminkalender, Fahrpläne und Zeitangaben verlieren in der Wüste jegliche Bedeutung, denn statt dem Zeiger der Uhr, bestimmt der Lauf der Sonne den Tages- und Lebensrhythmus der Menschen und Tiere. Wann immer wir die Beduinen fragten, wie lange wir noch reiten oder wann wir aufbrechen würden, bekamen wir als Antwort nicht etwa „in 30 Minuten“, sondern „after a little bit“ und jedes Mal klappte es.

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#9 Vertrauen

Einen Egotrip kann sich in der Wüste niemand erlauben, denn ohne ein Miteinander, ohne Vertrauen läuft in der Wüste gar nichts. Ich lernte also meinem Kamel zu vertrauen, das mich auf seinem Rücken sicher durch die Wüste führte, bei der Herde blieb und zeitweise auch mich zu Fuß die Führung übernehmen ließ.

Ich lernte den Beduinen zu vertrauen, dass sie den Weg kennen, uns heil in die Wüste hinein und auch wieder raus bringen, dass sie uns mit Essen und Trinken versorgen, dass sie uns geeignete Schlafplätze zeigen, dass sie uns vor möglichen Gefahren beschützen und es gut mit uns meinen.

Ich lernte den zehn wunderbaren Frauen meiner Gruppe zu vertrauen, sodass ich mich ihnen öffnen und über meine Ängste, Probleme und Sorgen sprechen konnte. Wir gaben uns Halt, fingen uns gegenseitig auf und waren füreinander da. All das beruhte auf einer Basis von Vertrauen.

Und zu guter Letzt musste ich auch mir selbst vertrauen, auf mein Bauchgefühl hören und meinem Herzen folgen, so wie ich es auf Reisen immer tue.

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#10 Die Komfortzone verlassen

Durch private und berufliche Reisen bin ich es gewohnt, ständig in der Welt unterwegs zu sein, oft zu fliegen, mich neuen Situationen anzupassen und Hürden zu meistern. Ständiger Ortswechsel, fremde Kulturen, fremdes Essen, andere Sprachen und Reisepannen gehören für mich zum Alltag.

Zehn Tage lang in der freien Natur zu leben, völlig von der Außenwelt abgeschnitten zu sein und mich nicht ablenken zu können brachte mich jedoch an meine Grenzen. In der Wüste lernte ich somit, meine eigene Komfortzone zu verlassen und über mich selbst hinauszuwachsen.

#11 Dankbarkeit

Die Wüste lehrte mich nicht nur Dankbarkeit für diese unglaubliche Reise, für die inspirierenden Menschen, die dabei waren und für die großartige Fürsorglichkeit der Beduinen, sondern sie lehrte mich auch Dankbarkeit und Demut vor dem Leben.

Einmal mehr lernte ich unsere magische Welt mit all ihrer Schönheit wertzuschätzen, dankbar dafür zu sein, dass ich gesund bin, dass ich die Fähigkeit habe, meine eigenen Fehler zu erkennen und daraus zu lernen und dass ich den Mut habe, meinen eigenen Weg zu gehen. Ich könnte diese Liste ewig weiterführen, denn es gibt so vieles, für das ich von ganzem Herzen dankbar bin.

Leben in der Wüste

#12 Mich selbst spüren

All die Lektionen, die ich in der Wüste lernen durfte, trugen dazu bei, dass ich mich von meinem Alltag entfernte, dass ich innerlich leer wurde und Raum für neue Einsichten schuf. Ich schaffte es, im Hier und Jetzt präsent zu sein, auf meine Bedürfnisse zu achten, meinen Körper zu spüren und mich endlich wieder selbst wertzuschätzen.

Mit dem Vorhaben, von nun an achtsamer mit mir und meinem gesamten Umfeld umzugehen, kehrte ich aus der Wüste zurück. Viele der Lektionen werden noch lange nachhallen.

Lektionen der Wüste
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7 Kommentare
  1. Miuh

    5. Mai 2019

    Ein sehr schöner Beitrag und wieder super tolle und (für mich) emotionale Fotos – ich mag das sehr! Es gibt mir einen kleinen Kick mehr in die Richtung, einen Trip durch die Wüste des Oman zu unternehmen, die Macht, die Technologie und ein Stück meiner Zeit einach abzugeben. Am wenigsten verzichten möchte ich bei einem solchen Erlebnis auf den Fotoapparat, aber sonst hätte ich wahrscheinlich wenig Mühe, auf Erreichbarkeit, usw. zu verzichten. War das ein Programm mit Thema, welches Du hier gebucht hast? Liebe Grüsse, Miuh

  2. Anna

    9. Mai 2019

    Liebe Julia,
    es ist so schön über deine Erfahrungen und Erkenntnisse in der Wüste zu lesen.
    Als ich mit dem Lesen dieses Beitrags angefangen habe, hab ich mir überlegt, welche Lektion ich wohl am beeindruckendsten finde, aber jetzt am Ende kann ich mich nicht entscheiden, weil ich so viele bzw. alles toll finde. Besonders das mit dem Zeitgefühl muss ich mir momentan wieder mehr verdeutlichen…

    Danke fürs Teilen!!

    Liebe Grüße aus dem Schwarzwald

    Anna

  3. Thomas

    13. Mai 2019

    Vielen Dank für diesen sehr interessanten Erfahrungsbericht. Besonders für deine Erkenntnisse was ein Leben abseits der Zivilisation betrifft und wie viel man dabei in sich selber finden kann. Ähnliches erfahre ich bei meinem jährlichen Wanderurlaub in der Abgeschiedenheit der deutschen Alpen den ich nie mehr missen wollen würde.

    Liebe Grüße
    Thomas

  4. Hjalmar

    29. Oktober 2020

    Schöner Beitrag! Klingt nach einem Abenteuer!

  5. Nina

    20. Februar 2022

    Hi,

    so ein schöner Beitrag. Ich war während meiner Aufenthalte nur zwei Nächte in der Wüste. Aber diese Zeit werde ich nie wieder vergessen. Nun ist das schon so lange her, dass ich immer wieder eine Sehnsucht verspüre, wenn ich an Ägypten denke. Ein Familienmitglied hat 2 Jahre in Ägypten gearbeitet. In der Zeit war ich insgesamt für 6,5 Wochen dort. Die Zeit. hat mich geprägt. Danach hat sich für mich einiges geändert. Vor allem habe ich gelernt, das wertzuschätzen was ich habe. Ägypten und besonders Kairo werden mir immer in Erinnerung bleiben. Ich bin so dankbar für die Zeit, die ich dort verbracht habe und die Erfahrungen die ich dort machen durfte.

    Liebe Grüße
    Nina

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