Sehnsucht nach Stille: Eine Wüstenreise durch die Wüste Sinai
Fernab von Alltagsstress und jeglicher Zivilisation führt mich eine Wüstenreise zurück zu dem, was ich verloren habe. Gemeinsam mit 15 Kamelen, einem Hund, zehn wundervollen Frauen und fünf Beduinen reite ich durch die Wüste Sinai in Ägypten. Schlafsäcke und das nötigste Gepäck haben wir bei uns, außerdem Wasservorräte und Lebensmittel.
Zehn Tage und neun Nächte verbringen wir ohne Internet, ohne Smartphones, ohne fließendes Wasser, ohne Strom, ohne Toilette und ohne Zelt in der freien Natur. Wir schlafen unter dem funkelnden Sternenhimmel im Wüstensand, hinterlassen nichts außer Spuren und nehmen mehr mit, als wir uns jemals erträumt hatten.
Auf dem Kamelrücken durch die Einsamkeit
Nachdem wir uns zwei Tage lang im RockSea Camp am Roten Meer körperlich und seelisch auf die Wüstenreise eingestellt haben, verlassen wir die Zivilisation und ziehen mit gemischten Gefühlen in die Wüste Sinai. Alle haben wir gewisse Vorstellungen, doch was uns in der Wüste wirklich erwartet, das weiß niemand von uns.
Im Schatten einer Akazie lernen wir die Beduinen kennen, die uns in den kommenden zehn Tagen durch ihre Heimat führen, für unsere Sicherheit und unser leibliches Wohl sorgen werden. Behutsam lassen sie die Kamele niederknien, um unser Gepäck sowie die Vorräte zu verladen. Dann kann es endlich los gehen.
Langsam wankend setzt sich mein Kamel in Bewegung. Seine Fellfarbe gleicht dem des hellen Wüstensandes. Es ist das größte Kamel der Herde. Auch ein Muttertier mit seinem braunen Baby begleitet uns auf dieser Wüstenreise.
Der erste Ritt ist ungewohnt und doch finde ich auf Anhieb Gefallen an dieser langsamen und wunderbaren Art zu reisen. Endlose Weite und unberührte Natur liegen vor uns. Weder Zäune noch Begrenzungen, nicht mal Wegweiser oder Spuren, denen wir folgen müssen. Das ist pure Freiheit.
So reiten oder führen wir unsere Kamele zu Fuß Tag für Tag durch die Wüste Sinai. Manchmal bei flirrender Hitze, manchmal im Sandsturm, manchmal bei einer angenehmen Brise, die für Abkühlung von Körper und Geist sorgt.
Landschaften wie aus der Bibel
Dass wir uns so langsam fortbewegen, gibt uns die Möglichkeit, bewusst zu schauen, bewusst wahrzunehmen. All die Formen, Farben und Strukturen. Schroffe und sanfte Steinformationen von tiefschwarz über beige bis rotorange, weiche Felsen, goldgelbe Sanddünen und überall Geröll. Ich fühle mich wie in einem riesigen, jahrhundertealten Skulpturenpark. Die Künstler, die diese Kunstwerke erschufen, sind Wind, Sonne und Sand.
Beinahe täglich ändert sich die Kulisse, durch die wir reiten. Vieles erinnert mich an die Erzählungen in der Bibel, mit denen ich mich während des Religionsunterrichtes zu Grundschulzeiten zum ersten und letzten Mal beschäftigte. Obwohl ich mit der Kirche, so wie sie uns vorgelebt wird, nichts am Hut habe, werden die Bilder in meinem Kopf nach und nach lebendig. Immer wieder tauchen Bibelfiguren wie Maria und Josef vor meinem geistigen Auge auf und ich fühle mich plötzlich verbundener mit ihrer Geschichte denn je.
Kein Wunder, ist doch die Wüste eine biblische Urlandschaft, in der viele der großen Erzählungen spielen. So zum Beispiel die Geschichte des Propheten Mose. Nicht weit von uns entfernt befindet sich der heilige Moses-Berg, auf dessen Gipfel er die Zehn Gebote Gottes empfangen haben soll.
Vielleicht wird es Zeit, mich neu mit der Geschichte zu beschäftigen und sie aus einem anderen Blickwinkel, fernab von den Klischees und Aufzwängen der christlichen Kirche, zu sehen?
Tee gegen die Mittagshitze
Bevor die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht hat, legt die Karawane eine mehrstündige Rast ein. Die Kamele gehen in die Knie, sodass wir absteigen können. Das Gepäck wird abgeladen.
Während wir Frauen uns einen Schattenplatz unter Felsen oder Sträuchern suchen, entzünden die Beduinen ein Feuer. In rußigen Teekannen brühen sie starken Schwarztee auf. Diese fast schon rituelle Handlung zählt, wie in allen arabischen Ländern, auch bei den Beduinen im Süd-Sinai zu den wichtigsten Alltagszeremonien. Getrunken wird der Schwarztee mit massig Zucker aus winzigen Gläsern. Dazu gibt es süße Datteln, an manchen Tagen sogar Orangen oder Honigmelone.
Erst am Nachmittag, wenn die Hitze langsam nachlässt, reiten wir weiter oder führen unsere Kamele zu Fuß durch die weiten Wüstenlandschaften.
Im Milliarden-Sterne-Hotel
In der Stunde vor Sonnenuntergang lässt die Sonne die Farben der Wüste noch einmal intensiv leuchten. Die Kamele werfen lange Schatten in den gold schimmernden Wüstensand und die Konturen der Landschaft treten noch eindrucksvoller hervor.
In dieser Zeit richten wir meist das Nachtlager ein, denn mit den Beduinen in der Wüste zu leben, bedeutet auch in der Wüste zu schlafen und zwar ohne schützende Wände, ohne Dach über dem Kopf und ohne Zelt. Wir suchen uns einen geeigneten Schlafplatz, der sich für uns gut anfühlt, breiten Isomatte und Schlafsack aus und fertig ist das Schlafgemach im Milliarden-Sterne-Hotel.
Schon wenige Minuten später legt sich ein eisiger Mantel um die Haut. Es wird kalt in der Wüste. Wir ziehen wärmende Thermo-Unterwäsche unter die Kleidung, kramen Mützen und winddichte Jacken aus dem Gepäck und versammeln uns am Lagerfeuer. In warme Wolldecken gekuschelt, lassen wir den Tag noch einmal Revue passieren, unterhalten uns und anstatt aufs Handydisplay zu starren und den Instagram Feed durchzuscrollen, beobachten wir die Männer beim Kochen. Stundenlang.
Mit einer Ruhe und Gelassenheit, die ich von mir selbst nicht kenne, bereiten sie eine warme Mahlzeit zu. Sie schneiden Gemüse, kochen Reis oder Nudeln und kneten aus Wasser, Mehl und Salz einen Teig für das Fladenbrot, das anschließend in der heißen Glut gebacken wird. Zwischendurch wird immer wieder Wasser für Karkadeh (Hibiskustee) gekocht.
Nach dem Essen krieche ich mit einer Wärmflasche in meinen Schlafsack und ziehe mich in mein eigenes, kleines Reich zurück. Das Kopfteil zurre ich so feste zu, dass lediglich Augen und Nase rausschauen und Wind und Sand somit (mehr oder weniger) draußen bleiben.
Während ich die Erde im Rücken spüre, verliert sich mein Blick im leuchtenden Sternenhimmel, der mir überall auf der Welt das Gefühl gibt, heimisch zu sein. Ich suche nach den wenigen mir bekannten Sternbildern und beobachte den Mond, der während unserer Wüstenreise von Nacht zu Nacht heller und voller wird.
Eine angenehme Schwere erfasst mich. Seelenruhig schlafe ich ein.
Die Wüste erwacht
Jeden Morgen wache ich gegen fünf Uhr auf, nicht vom Klingeln des Weckers, sondern von alleine. Mein Biorhythmus hat sich bereits der Sonne angepasst. Mit dem noch warmen Wasser aus meiner Wärmflasche putze ich die Zähne und wasche das Gesicht. Anschließend schnappe ich meine Kamera und schleiche an den noch schlafenden Kamelen vorbei. Ich bestaune den Sonnenaufgang und fange das magische Licht des Morgens ein.
An manchen Tagen sitze ich auch einfach nur so auf einem Felsen oder grabe meine Füße tief in den noch kalten Wüstensand und beobachte, wie die ersten Sonnenstrahlen der Wüste neues Leben einhauchen, denn mit dem Licht des Himmels kehren auch die Farben der Erde zurück. Alles, was in der Dunkelheit fahl und grau erschien, beginnt nun zu leuchten – die Berge in einem intensiven Rot, der Sand in funkelndem Gold.
Ich schließe die Augen und spüre eine sanfte Wärme auf meiner Haut. Orangefarbenes Licht durchdringt meine Augenlider und erwärmt mein Innerstes. Ich lenke meine Aufmerksam auf meine Gefühle und horche, wie es mir heute geht.
Mit Vorfreude auf den Tag kehre ich zu meinem Schlafplatz zurück, rolle Isomatte und Schlafsack zusammen und packe meine Tasche. Anschließend treffen wir uns mit allen Frauen zur Morgenrunde. Mit gekreuzten Beinen sitzen wir auf bunten Flickenteppichen im Kreis. Wir beginnen mit Körper- und Atemübungen und klopfen unsere Meridiane ab. Außerdem reden wir offen über unsere Gefühle, Ängste, Sorgen und Probleme.
Bevor die Kamele mit unserem Gepäck sowie den Essensvorräten beladen werden und wir los reiten, gibt es Frühstück. Die Beduinen haben bereits frisches Fladenbrot in der heißen Asche des Lagerfeuers gebacken. Dazu gibt es Gurken und Tomaten, weichen Fetakäse, Honig, Kaffee und Tee.
Einfach nur sein
Die Zeit in der Wüste vergeht langsam. Sehr langsam. Reiten, Gehen, Essen und Schlafen bestimmen unseren Tagesablauf. Dazwischen bleibt unendlich viel Raum, um einfach nur zu sein und um wahrzunehmen was ist. Wann hatte ich das letzte Mal so viel kostbare Zeit? Ich kann mich nicht erinnern.
Hier in der Wüste muss ich rein gar nichts. Keine Emails lesen, keine Emails beantworten, keine Artikel schreiben, mich nicht über Kommentare anderer aufregen, nichts posten, ja nicht einmal fotografieren muss ich. Mit meiner Kamera halte ich Momente fest, wenn mir danach ist. Ich fange Farben und Lichtstimmungen ein, weil ich es liebe, nicht weil ich abliefern muss. Welch ein himmelweiter Unterschied!
Ich merke, wie gut mir die extreme Reduktion in der Wüste tut, wie sich Spannungen lösen und mein Kopf frei wird. Probleme, die mir noch wenige Tage zuvor den Verstand geraubt hatten, bedeuten hier in der Wüste rein gar nichts.
Zwischendurch reißen äußere Umstände am dünnen Nervenkostüm. Die brennende Sonne, die tagsüber ohne Erbarmen aufs Gemüt knallt, die eisige Kälte, die am Abend unter die Kleidung und in den Schlafsack kriecht, der Wind, der die Sandkörner ins Gesicht peitscht und auch das Miteinander in der Gruppe können herausfordernd sein. Die Königsdisziplin bei all dem ist es wahrscheinlich, sich nicht aus der eigenen Mitte bringen zu lassen. Seinen eigenen Fokus zu behalten. Ähnlich wie bei der Meditation.
Schweigen
Am vierten Tag der Wüstenreise geht es nicht nur darum, präsent zu sein, sondern es geht um Stille. Wir legen einen Schweigetag ein. Jegliche Kommunikation wird abgestellt. Während es einigen sichtlich schwer fällt nicht zu sprechen, genieße ich das Schweigen sehr. Ohne die ständige Ablenkung durch Gespräche mit den anderen Frauen oder mit den Beduinen, schaffe ich es, ganz bei mir selbst zu sein. In meinem Alltag kommt das so gut wie niemals vor.
In der Nachmittagshitze ziehe ich mich unter einen schützenden Felsvorsprung zurück. Mein Kopf hämmert, der Körper glüht. Ich kippe mir kühles Wasser über den Turban und reibe mir Pfefferminzöl auf die Schläfen. Im Schatten stellt sich plötzlich eine angenehme Leere ein. Gute und schlechte Gefühle, Trauer, Zorn und Widerstand keimen auf. Doch trotz einer gewissen Angst, übe ich mich darin, all diese Gedanken zuzulassen, sie nicht abzuwehren, sondern wahrzunehmen, anzunehmen und sie auch wieder ziehen zu lassen.
Abschied von der Wüste Sinai
Am letzten Tag der Wüstenreise reiten wir ganz gemächlich durch das goldene Nachmittagslicht. Die Kamele trotten im Schneckentempo vor sich hin, so als würden sie wahrnehmen, dass der Abschied naht und als würden sie uns noch einmal die Zeit geben, die Schönheit der Wüste Sinai von ihrem Rücken aus zu verinnerlichen. Die Sonne steht bereits tief. Niemand spricht ein Wort.
Als wir mit den Beduinen am Lagerfeuer sitzen und uns eine gut gewürzte Linsensuppe schmecken lassen, lässt der Mond sein silbernes Licht über den Wüstensand fließen. Er leuchtet so hell, dass wir keine Stirnlampen brauchen, um uns in der Nacht zurecht zu finden. In wenigen Stunden ist Vollmond.
Negative Gewohnheiten, die ich gerne ablegen möchte, Ängste, Probleme und Sorgen habe ich bereits auf einen Zettel geschrieben und symbolisch in der Wüste verbrannt. Nun pflanze ich meine Wünsche für die Zukunft gedanklich in einen Stein. Den Stein nehme ich in der letzten Nacht mit in meinen Schlafsack. Ich drücke ihn feste an mein Herz und schlafe mit Blick auf die Sterne ein.
Ausklingen am Meer
Im RockSea Camp in Nuweiba, dort wo unsere Wüstenreise begonnen hatte, lassen wir das magische Erlebnis ausklingen. Bevor es zurück in die Realität geht, verbringen wir noch ein paar relaxte Tage am Golf von Aqaba, einem 29 Kilometer breiten Meeresarmes des Roten Meeres, der das Königreich Saudi Arabien von der ägyptischen Halbinsel Sinai trennt.
Wir genießen die Sonne auf der Haut, die in der Wüste stets verhüllt war, schlafen in einfachen Bambushütten, deren Dächer mit Palmwedeln bedeckt sind, schnorcheln über dem knallbunten Korallenriff, trinken frisch gepressten Orangensaft, Mangolassi und Cappuccino mit Milchschaum. Wir leben im Überfluss, haben (mehr oder weniger funktionierenden) Zugang zum Internet, eine abschließbare Toilette, eine durch Solarenergie betriebene Dusche und zum Frühstück gibt es Müsli mit Früchten und Joghurt oder Rührei mit Humus, Salat und warmem Bohneneintopf.
All das hatte es in der Wüste nicht gegeben. Vieles davon habe ich nicht vermisst und trotzdem tut es unglaublich gut, diesen Luxus nun wieder bewusst genießen zu dürfen – vor allem die warme Dusche. Nach zehn Tagen ohne Haarewaschen feiere ich jeden einzelnen Wassertropfen auf meiner Haut und fühle mich anschließend wie neugeboren.
Den Moment, in dem ich das Handy einschalte und die nach Aufmerksamkeit schreiende Außenwelt wieder in mein Leben lasse, zögere ich noch eine Weile hinaus. In der Wüste habe ich mir feste vorgenommen, mich von nun an nicht mehr so sehr von den sozialen Medien stressen zu lassen und meinen Platz wieder mehr im echten Leben als auf dem IPhone Display einzunehmen. Mit diesem Vorhaben lese ich meine Emails und Whatsapp Nachrichten. Instagram kann noch eine Weile warten.
Am Abend vor der Abreise sitze ich am Meer. Glasklar und tiefblau liegt es vor mir. Im Hintergrund türmt sich eine sanfte Gebirgskette auf, die sich von Saudi Arabien bis zur Wüste Wadi Rum in Jordanien zieht. Auch Israel ist nur 45 Fahrminuten von hier entfernt.
Ich schmecke das Salz auf meinen Lippen, sauge den Duft des Meeres ein und lausche dem sanften Rauschen der Wellen. Der Himmel ist milchig weiß und die tiefstehende Sonne streichelt meine Haut mit den letzten warmen Strahlen, bevor sie völlig unspektakulär und doch so magisch hinter den Bergen verschwindet.
Nur wenige Minuten später beginne ich zu frösteln. Eine Gänsehaut macht sich breit. Ich schreibe den letzten Satz des Briefes, falte das Papier und stecke es in den Umschlag, der an mich selbst adressiert ist.
„Wer in die Wüste geht, wird nicht derselbe bleiben,“ sagt ein arabisches Sprichwort. Wie wahr diese Worte doch sind, ist mir nach den vergangenen 15 Tagen in Ägypten bewusst, denn ich habe hier etwas gefunden, von dem ich nicht wusste, dass ich es verloren hatte. Die Wüste Sinai werde ich in Zukunft immer bei mir tragen und das Erlebte abrufen, wann immer mir danach ist.
Was sich in mir verändert hat, lässt sich nur schwer in Worte fassen. Muss es auch gar nicht, denn es wird sich früher oder später auf vielfältige Weise zeigen. Da bin ich mir sicher.
Ich verlasse das Land in tiefer Dankbarkeit, mit echtem Seelenfrieden, mit Freude im Herzen, mit frischer Energie und einer geballten Ladung Inspiration. Nun bin ich bereit für ein neues Kapitel in meinem Leben.
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