Vergänglichkeit & Wandel: Was wir vom Herbst lernen können
Jedes Jahr, wenn der Sommer sich zurückzieht und der Herbst über das Land hereinbricht, werden die meisten Menschen von einer seltsamen Melancholie erfasst. Wehmut über den viel zu kurzen Sommer macht sich breit. Die warmen Tage sind nun endgültig vorüber und mit ihnen die Zeit der Sommerkleider und Sandalen, der langen, unbeschwerten Nächte im Freien, der Grillabende, der Sonntagsfrühstücke auf dem Balkon, der heißen Tage am Badesee, der Eisdielenbesuche, der Lebensfreude.
Nun verliert die Sonne an Kraft. Immer mehr gelbe und braune Blätter fallen von den Bäumen, die Tage werden kürzer, die Nächte dunkler und das Thermometer klettert nur noch selten über die 5 Grad Marke hinaus. Längst wurden die dicken Pullis, Schals und Winterjacken aus der letzten Ecke des Schrankes hervorgekramt und die Birkenstocks gegen gefütterte Stiefel getauscht. Die Heizung wurde zum ersten Mal aufgedreht und auch die Wärmflasche kam bereits zum Einsatz.
Spaziergang für die Sinne
Doch anstatt der emotionalen Verwirrtheit schon jetzt zu verfallen, solltest du die aufkeimende Winterdepression noch eine Weile nach hinten verschieben und die Schönheit des Herbstes bewusst genießen. Bevor die Natur nämlich in einen tiefen Winterschlaf verfällt, lässt sie es noch einmal so richtig krachen.
Gehe raus, spaziere durch die Laubwälder, die zur Zeit einem gelb-rot-orange-braunen Farbenmeer gleichen, fange das goldene Herbstlicht mit deiner Kamera ein, beobachte die Kraniche, die sich im Oktober und November sammeln, um sich gemeinsam auf die Reise ins Winterquartier zu machen, sieh dem aufgewirbelten Laub beim Tanzen zu und halte dein Gesicht in die Sonne. Sammle Kastanien, bunte Blätter und essbare Pilze, aus denen du dir später eine leckere Suppe kochen kannst.
Sei achtsam und konzentriere dich bei deinem Herbstspaziergang ganz bewusst auf deine Sinne: Was siehst du? Welche Farben nimmst du wahr? Hörst du das Rascheln der Blätter unter deinen Füßen? Riechst du den Duft von Moos, herbem Holz und nassem Laub? Spürst du, wie die knackig kühle Morgenluft deine Lungen füllt, wie der Herbstwind über deine Haut streicht oder wie die Sonne deinen Rücken wärmt?
Zeit für Gemütlichkeit
Und wenn dich dann doch ungemütliche Herbststürme und Dauerregen zurück in die eigenen vier Wände treiben, darfst du es dir zu Hause so richtig gemütlich machen. Schalte das grelle Licht aus, zünde dir Räucherstäbchen und Kerzen an und kuschele dich mit dicken Socken, einer Tasse Kräutertee und einem guten Buch unter die Bettdecke.
Vielleicht magst du auch einfach nur still dasitzen und aus dem Fenster schauen, Entspannungsmusik hören, Yoga praktizieren, ein heißes Bad nehmen, meditieren oder malen. Wichtig ist lediglich, dass du dir Zeit für dich alleine nimmst und dir nach den schnelllebigen Sommermonaten ein wenig Ruhe gönnst.
Was wir vom Herbst lernen können
Innehalten
In einer Welt, in der wir immer und überall erreichbar sind, ständig von einem Termin zum andern hetzen, Aufträge annehmen, obwohl wir längst überlastet sind, rund um die Uhr von Informationen überflutet werden und kaum Zeit finden, bei uns selbst zu sein, wirkt der Herbst wie eine Notbremse.
Während die Landschaft langsam kahl wird und im Äußeren Ruhe einkehrt, zwingt uns der Herbst auch im Inneren einen Gang runterzuschalten und die Aufmerksamkeit auf uns selbst zu lenken. Der Herbst lehrt uns innezuhalten, das Handy hin und wieder einfach mal auszuschalten, einen freien Tag ohne schlechtes Gewissen im Bett zu verbringen und still zu werden.
Wertschätzen
Bunte Blätter, goldenes Sonnenlicht und reife Früchte auf der einen, Sturm, Regen, Kälte und grauer Himmel auf der anderen Seite. Der Herbst erinnert uns daran, dass alles im Leben zwei Seiten hat: Tag und Nacht, Licht und Schatten, schwarz und weiß, weiblich und männlich, Leben und Sterben. Das ist die Polarität des Lebens.
Und wenn wir ganz ehrlich sind, ist alles Schöne nur dadurch schön, weil wir die Kehrseite kennen. Wir würden das warme Sonnenlicht niemals wertschätzen, würden wir nicht auch die Dunkelheit kennen. Wir würden das Aufblühen der Natur nicht wertschätzen, wäre uns nicht bewusst, dass im Herbst alles stirbt und vergeht.
Erst das Bewusstsein der Vergänglichkeit lässt uns wertschätzen und es macht das Erleben umso intensiver je näher das Ende kommt, ähnlich wie die letzten Tage einer Reise oder die letzten Seiten eines guten Buches.
Loslassen
Während auch die letzten Blätter von den Bäumen gefegt werden, wird nicht nur klar, dass die Natur in ständigem Wandel ist, sondern auch die eigene Vergänglichkeit tritt mal wieder deutlich in unser Bewusstsein. Diese ständige Erinnerung an das Altern, das Welken und an die eigene Endlichkeit kann Angst machen, doch sie hat auch etwas Positives, denn wir lernen das Loslassen.
Indem du dir im Herbst die Zeit nimmst, dein eigenes Leben zu reflektieren, findest du heraus, was dir wirklich gut tut und du erkennst, was nicht (mehr) zu dir gehört. Lass los, was ausgedient hat und halte nicht länger fest an überflüssigen Dingen, Menschen, die dir nicht gut tun, festgefahrenen Meinungen, falschen Erwartungen und Vorstellungen. Im Klartext: Entfolge Instagram Accounts, die dir ein schlechtes Gefühl vermitteln, trenne dich von Menschen, die dich lähmen, trete aus WhatsApp Gruppen aus, die dich schon ewig nerven, verabschiede alte Denkmuster und trenne dich von materiellen Dingen, die du nicht mehr benötigst. Werfe sämtlichen Ballast ab und blicke nach vorne. Auch wenn es manchmal schwer fällt, wirst du merken, wie sehr das Loslassen befreit.
Platz für Neues schaffen
Wenn Altes gehen darf, schaffst du automatisch Raum für Neues. Du schaffst Platz für Veränderung und Wachstum, bringst dein Leben wieder ins Gleichgewicht und hast nicht nur den Kopf und beide Hände, sondern auch das Herz wieder frei für neue Gedanken, Pläne, Ideen, Freundschaften, Beziehungen, Hobbies. Trete aus deiner Komfortzone heraus, probiere Neues aus und schaue nach vorne. Freue dich auf alles, was kommt.
Letztendlich lehrt uns der Herbst, dass alles im Fluss ist. Wir alle befinden uns in einem ständigen Wandel. Altes vergeht, damit Neues wachsen kann. Vielleicht gewöhnen wir uns durch das alljährliche Auseinandersetzen mit positiven und negativen Herbstgefühlen irgendwann auch an den eigenen Rhythmus des Lebens und vielleicht fällt uns das Abschiednehmen so eines Tages leichter.