Großstadt vs. Landleben: Wie ich lernte, was mich wirklich glücklich macht
Aufgewachsen bin ich in einem 1.000 Einwohner großen Dorf in der Vulkaneifel. Jeder kannte hier jeden und das war schön so. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Kind mit der Zinkkanne zum Bauernhof lief und dabei zusehen durfte, wie die Kühe von Hand gemolken wurden. Ich gab dem Bauern das Markstück, das meine Mama mir mitgegeben hatte und trug die warme Milch zu Fuß nach Hause.
Unser Haus stand mitten im Dorf. Wir hatten einen großen Garten mit bunt bemalten Hasenställen und einem Sandkasten. Neben dem Haus stand eine alte Scheune, in der Äpfel und Kartoffeln lagerten. Das größte Hobby meiner Eltern war es, alte Holzmöbel, die sie auf Antikmärkten an Rhein und Mosel ergatterten, in liebevoller Handarbeit zu restaurieren.
Meine jüngere Schwester und ich hatten immer Haustiere – Katzen, Hasen und später auch Hunde. Wir gingen zu Fuß zum Kindergarten und später zur Grundschule. Nachmittags spielten wir im Garten, im Wald oder mit den Nachbarskindern auf der Straße. Wir waren eigentlich immer draußen und wuchsen unbeschwert auf.
Als ich älter wurde, zog es mich in die Ferne. Kein Ziel auf dieser Welt war zu weit, kein Abenteuer zu groß und keine Reise zu lang. Ich sehnte mich nach Abwechslung, fühlte mich von lärmenden Millionenstädten angezogen, liebte die Hektik, die Reizüberflutung, die Unbeständigkeit.
Einige Jahre reiste ich mit meinem Backpack um die Welt, arbeitete mal hier und mal da, fuhr viele Monate lang zur See und lebte zwischendurch immer wieder in Berlin, wo die Supermärkte rund um die Uhr geöffnet haben, wo die U-Bahn im Zwei-Minuten-Takt fährt und wo man auch mittwochs nachts um drei aus dem Club kommen und warme Croissants mit Erdbeermarmelade frühstücken kann.
Großstadtliebe
Schon bei meinem allerersten Besuch, damals noch zu Studentenzeiten, verliebte ich mich in Berlin, in dieses unbeschreibliche Lebensgefühl, das die Stadt mir gab und in die unendlichen Möglichkeiten, die mir hier zu Füßen lagen.
Berlin und ich – das war Liebe auf den ersten Blick. Ich fühlte, dass ich hier hin gehörte und war mir sicher, dass diese Liebe für die Ewigkeit bestimmt war. Ich wollte nie wieder aus der Hauptstadt wegziehen.
Eine der Grundregeln in Berlin lautet: Nichts bleibt wie es ist. Wer hier wohnt, liebt Veränderungen und das tat ich. Alles war ständig im Wandel. Täglich eröffneten neue Cafés und Geschäfte und es gab immer wieder etwas zu entdecken.
Ich liebte es, sonntags in einem der vielen Cafés zu frühstücken, anschließend über Flohmärkte zu schlendern, mit Freunden auf der großen Wiese im Mauerpark zu liegen und abends noch spontan zu einem Konzert, ins Theater oder zum Poetry Slam zu gehen. In Berlin wurde es niemals langweilig.
Was ich außerdem liebte: Die permanente Verfügbarkeit von allem, wonach ich mich sehnte und die Anonymität der Großstadt. Ich feierte es, dass mich beim Einkaufen einfach niemand kannte und ich keine unangenehmen Smalltalks mit „alten“ Schulkameraden führen musste, wie es auf dem Land öfters mal der Fall ist.
Ich mochte die lauen Sommerabende am Landwehrkanal, die Ausflüge zum See, die Parties und Festivals, die verrückten Menschen, die ich in Berlin kennenlernte, die Kultur und das gute Essen. Die Auswahl an Cafés, Restaurants und Falafelbuden ist einfach so gigantisch, dass man das ganze Jahr lang jeden Tag woanders hingehen konnte. Das Angebot an veganen Gerichten ist dabei unvorstellbar riesig.
Für mich pulsierte in Berlin das Leben. Es herrschte sehr viel Offenheit, Toleranz und es gab unendlich viel Raum für Kreativität. Alle Möglichkeiten standen mir in der Hauptstadt offen – so erschien es mir damals.
Mir gefiel außerdem, dass ich zu jeder Tages- und Nachtzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren konnte. Ich musste nie die Uhr im Blick behalten, um den letzten Bus zu erwischen und ich musste niemals darauf achten, ob ich nun ein Glas Wein trinken kann oder nicht.
Sehnsucht nach Stille
Drei Mal habe ich mittlerweile in Berlin gelebt. Einmal ganz im Osten in Lichtenberg, einmal ganz im Westen in Charlottenburg und einmal lag meine Wohnung sogar genau auf dem ehemaligen Grenzstreifen zwischen Kreuzberg und Neukölln, direkt am Landwehrkanal.
Zwischendurch zog es mich immer wieder weg – mal ins Ausland und mal aufs Land, denn trotz allem, was ich an Berlin so liebte, kam ich in der Stadt nie richtig an.
Ich spürte, dass mich die unendlichen Möglichkeiten, die mir einst als Freiheit erschienen, auf eine gewisse Art und Weise stressten, denn eine Entscheidung FÜR eine Sache bedeutete gleichzeitig auch immer eine Entscheidung GEGEN all die anderen Dinge, die ich unternehmen konnte und gaben mir ständig das Gefühl, etwas Großartiges zu verpassen.
Außerdem stresste mich der Lärm (und Berlin ist für eine Großstadt noch erstaunlich leise), das Gedränge auf den Straßen, die Polizeisirenen, das ständige Autogehupe, die Staus und die Parkplatzsuche (wenn ich mal ein Auto hatte), die überfüllten U-Bahnen und die weiten Distanzen innerhalb der Stadt.
Obwohl meine Schwester und ich beide in Berlin wohnten, brauchte ich fast eine ganze Stunde, um mit den Öffis zu ihr zu gelangen. Eine ganze Stunde! Das bedeutete auf dem Land, eine Freundin in 100 km Entfernung zu besuchen. In Berlin waren unsere Wohnungen gerade einmal 13 Kilometer von einander entfernt.
Wenn ich heute zurückdenke, fällt mir auf, wie konsumgesteuert mein Leben in Berlin war. Durch die ständige Reizüberflutung und das Überangebot von allem, ließ ich mich einfach wegschwemmen. Es war eine logische Konsequenz: Alleine beim Weg zum Bäcker kam ich an so vielen Schaufenstern und Geschäften vorbei, schaute hier mal kurz rein, ließ mich da von Dekoartikeln, Klamotten oder schönem Geschirr um den Finger wickeln und schon hatte ich ein neues Teil gekauft.
In der Großstadt konsumiert man einfach mehr, isst häufiger auswärts und lebt meiner Meinung nach weniger nachhaltig. Dieses Phänomen beobachte ich auch bei sehr vielen Stadtmenschen, denen ich auf Instagram folge.
Berlin veränderte sich mit den Jahren und immer mehr meiner Freunde redeten davon, zurück aufs Land zu ziehen. Viele alternative Locations fielen der Industrie oder dem Wohnungsbau zum Opfer. Alte Lagerhallen, die als Clubs genutzt wurden, verwandelten sich in gläserne Bürogebäude und plötzlich gab es immer weniger von den wirklich coolen Orten.
Für mich wurde die Stadt immer lauter, immer stressiger, immer voller. Ich sehnte mich nach Stille und obwohl ich häufig durch den Tiergarten spazierte, der immerhin 5,17 km² umfasst, fehlte mir die Natur. Meine Laufstrecke führte über Asphalt anstatt über weichen Waldboden und ich stellte fest: Ein Park ersetzt eben keinen Wald.
Nachts leuchteten die Lichter der Stadt so hell, dass ich die Sterne nicht sehen konnte. Die Verbindung zum unendlichen Universum fehlte mir dadurch sehr.
Irgendwann nervte mich sogar die Anonymität. Sie gab mir das Gefühl, ein winziges Rädchen in einem riesigen, kaum mehr überschaubaren Getriebe zu sein. Das Haus, in dem ich zuletzt wohnte, hatte über 40 Parteien und ich kannte nicht mal meine direkten Nachbarn. Zu allem Überfluss kostete mich meine 1-Zimmer-Wohnung mehr als ein Einfamilienhaus mit Garten auf dem Land.
Landleben
Mittlerweile lebe ich wieder in meiner Heimat, der Vulkaneifel. Ja, auf dem Land ticken die Uhren langsamer, es gibt keine U-Bahn, nicht mal einen Nachtbus, der mich nach Hause bringt, wenn ich das ein oder andere Glas Wein getrunken habe.
Früher bedeutete Landleben für mich Verzicht oder Mangel, denn es gibt hier keine hippen Cafés, die Cappuccino mit Hafermilch anbieten, kein Theater, keine Spätis und auch keine Supermärkte, die sonntags geöffnet haben.
Unsere Dönerbude hat immer noch kein veganes Gericht im Angebot (nicht mal Falafel!) und die Möglichkeiten sind begrenzt. Auf dem Land gibt es weniger Kaufanreize und dadurch auch weniger Konsum und das (ich habe lange gebraucht, um es zu begreifen) macht mindestens genauso, wenn nicht sogar noch viel, viel glücklicher.
Heute bedeutet Landleben für mich das komplette Gegenteil von Verzicht, denn hier gibt es mehr Grün als Grau, mehr Bäume als Beton. Die Luft ist reiner und wenn ich nachts mit Paddy durchs Dorf spaziere, dann ist es so still, dass ich meinen eigenen Atmen hören kann. Oft bleibe ich stehen, starre in den mit Sternen übersäten Himmel und erinnere mich daran, wie selten ich das in Berlin getan habe.
Auf dem Land zu leben bedeutet für mich, im Rhythmus der Natur zu leben. Ich erlebe die Jahreszeiten und ihre Wirkung viel intensiver, nehme den Wandel bewusster wahr und kann mich besser erden als in der Großstadt.
Wir haben hier auf dem Dorf mittlerweile einen großen Freundeskreis. Bei uns ist immer was los und ich habe ehrlich gesagt sogar mehr Kontakte als in der anonymen Großstadt.
Die perfekte Mischung aus Stadt- und Landleben, sozusagen das Beste aus beiden Welten, gibt es leider nicht. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, dann brauche ich nicht alle Restaurants der Welt in meiner Straße, brauche keinen Supermarkt, der 365 Tage im Jahr rund um die Uhr geöffnet hat, brauche keine vollgestopften U-Bahnen, die im Zwei-Minuten-Takt fahren, brauche keine lästige Parkplatzsuche in der Rush Hour, brauche mittwochs nachts keine warmen Croissants mit Erdbeermarmelade und brauche keine winzige 1-Zimmer-Wohnung für 700 Euro im Monat.
Und was ich noch kapiert habe: Dass man nicht immer nur meckern kann, was es auf dem Land alles NICHT gibt. Stattdessen einfach mal selbst den Arsch hochkriegen, Sachen ausfindig machen, ins Leben rufen und erfinderisch werden.
Natürlich freue ich mich trotzdem jedes Mal sehr, wenn ich meine Schwester in Berlin besuche und all die Vorzüge der Großstadt nutzen kann, die ich auf dem Land nicht habe.
Und wie soll die Zukunft aussehen?
Zur Zeit wohnen wir in einer kleinen Mietswohnung auf dem Dorf mit einer Dachterrasse, die wir in eine grüne Wohlfühloase umwandeln.
Ich träume jedoch davon, in naher Zukunft noch ländlicher zu leben – am liebsten in einem alten, alleinstehenden Bauernhaus am Waldrand. Ich träume von einem hellen Wohnzimmer mit großer Glasfront und Blick in die Natur, von knarzenden Holzdielen, viel Licht, einem alten Kachelofen und einem großen Garten mit knorrigen Obstbäumen, zwischen denen ich meine Hängematte spannen kann.
Ich träume von vielen Beeten, in denen wir Gemüse, Küchen- und Heilkräuter anbauen, einer bunten Wildblumenwiese und einem Gewächshaus. Vielleicht von einer alten Scheune, in der wir alte Holzmöbel restaurieren und Brennholz lagern können, vielleicht von ein paar Hühnern und zwei orangefarbenen Katzen, denn heute weiß ich: Was mich wirklich glücklich macht, ist das Landleben.
DAS WIRD DIR AUCH GEFALLEN