Detroit: Die gefährlichste Stadt der USA

Detroit

„Lasst euch nicht töten“, warnt uns der bekiffte, gut aussehende Mann, der in einem viel zu großen Gangsterpulli vor unserem heruntergekurbelten Fenster steht und uns äußerst fragwürdig anschaut: „Girls, you are crazy! Detroit is the most dangerous city in America!“

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Kennst du dieses Gefühl, eine unglaubliche Sehnsucht nach einem Ort zu haben, an dem du noch nie zuvor gewesen bist? Ein Ort, der dich völlig fasziniert, ja beinahe magisch anzieht, obwohl du noch nie dort warst?

So ergeht es mir mit Detroit, der Geisterstadt im US-Bundesstaat Michigan. Schon seit Tagen bin ich tierisch aufgeregt, weil ich weiß, dass ich endlich an diesen Ort kommen werde, der mich schon seit Ewigkeiten beschäftigt.

Morde, Diebstahl und Kriminalität

Schon lange vor unserer großenUSA & Kanada Reise schaue ich Filme über Detroit, lese Artikel und Bücher und höre etliche Gerüchte über die Motor City, die einst die viertgrößte Stadt der USA war.

Angeblich ist Detroits Kriminalitätsrate die höchste der Vereinigten Staaten. Die Mordrate ist zehn Mal so hoch wie im Rest des Landes, oder anders ausgedrückt: Statistisch gesehen geschieht hier ein Mord pro Tag! Auch Brandstiftungen, Diebstähle und Drogenkriminalität gehören in Detroit zum harten Alltag.

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“Einst wurden hier überproportional viele Autos gebaut, heute werden hier überproportional viele Menschen erschossen,“ schreibt Katja Kullmann in ihrem Buch Rasende Ruinen. Sie sagt, dass das Risiko, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, in Detroit bis zu fünfmal so hoch sei wie im Rest des Landes.

“Einst wurden hier überproportional viele Autos gebaut, heute werden hier überproportional viele Menschen erschossen.“

Trotz (oder vielleicht gerade wegen) all dieser abschreckenden Nachrichten will ich die Motor City mit eigenen Augen sehen. Ich will den Detroit-Spirit hautnah erleben und herausfinden, was wirklich dran ist an den vielen gruseligen Gerüchten. Ich möchte wissen was in der gefährlichsten Stadt Amerikas wirklich abgeht!

Hier werden oft Leichen gefunden

Von Toronto kommend, erreichen wir Detroit am frühen Morgen. Leider haben wir nur einen einzigen Tag Zeit, um die einstige Millionenmetropole zu erkunden.

Das Erste, was wir von Detroit sehen, sind die Suburbs, die Außenbezirke. Wir fahren durch menschenleere Straßen, vorbei an verwilderten Fabrikhallen und verlassenen Häusern. „Hier werden oft Leichen gefunden“, lese ich in einem Artikel über die leerstehenden Gebäude.

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Gleich zu Beginn unseres Besuches werden wir mit dem konfrontiert, was Detroit ausmacht: Zerbrochene Glasscheiben, Obdachlose, Armut, Gewalt. Die Leere dieser Stadt ergreift mich.

Wie brutal die Krise in der Motor City zugeschlagen hat, bekommen wir hautnah zu spüren. Vorbei ist die Zeit des Ruhmes. Hunderttausende sind aus Detroit geflüchtet. Von den einst zwei Millionen Einwohnern sind nur noch 700.000 übrig geblieben.

Detroits dramatischer Abstieg

Wo sind all die Menschen hin? Was ist eigentlich in Detroit passiert?

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Detroit zum Symbol der amerikanischen Autoindustrie. Ab 1902 wurde der Volkswagen Amerikas, das legendäre Modell T von Ford in Massenproduktion hergestellt. General Motors wurde gegründet und die Motor City boomte. Detroit war nicht nur das Herz der US-Automobilindustrie, sondern auch eine der reichsten Städte der Welt.

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Als die Japaner plötzlich kleinere und vor allem sparsamere Autos produzierten, begann der Niedergang. Die Amerikaner unterschätzten die Konkurrenz und bauten weiter ihre großen Spritfresser. Das hatte fatale Folgen, denn mit der Erdölkrise der 1970er Jahre stiegen die Benzinpreise ins Unermessliche.

Die Absatzzahlen der großen Hersteller sanken, Produktionsstätten und Zulieferbetriebe mussten schließen. Zigtausende von Arbeitsplätzen gingen verloren. Ganze Wohnviertel verkamen zu Slums und Fabrikanlagen verfielen zu Industrieruinen. Von 2000 bis 2010 verlor Detroit fast 250.000 Einwohner.

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Mit dem dramatischen Abstieg wechselte auch die Hautfarbe Detroits, denn die Weißen flüchteten. White Flight sagen sie hier. Geblieben sind sie Armen und die Schwarzen. Heute leben circa 80 Prozent Schwarze hier.

Vom großen amerikanischen Traum sind nur Ruinen geblieben. Etwa 90.000 Häuser stehen heute leer und es gibt so gut wie keine Jobs. Irgendwie kann ich verstehen, dass die Leute nachts verzweifelt auf die Straße gehen und klauen, um ihre Kinder ernähren zu können. Zum Wegziehen fehlt das Geld. Was bleibt ihnen anderes übrig? Es ist traurig.

Lasst euch nicht töten!

Unser erstes Ziel ist die leerstehende Automobilfabrik Packard Plant. Da wir ohne Navi fahren und das alte Gebäude nicht auf Anhieb finden, fragen wir an einer gottverlassenen Tankstelle mitten in den Suburbs nach der Ruine, doch der Tankwart zuckt ratlos mit den Schultern und kann uns nicht weiterhelfen. Plötzlich taucht ein Mann wie aus dem Nichts hinter uns auf und mustert uns von oben bis unten: „Girls, where are you going?“

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Wir erklären ihm, dass wir die Ruine von Packard Plant suchen. Er ist völlig überrascht und fragt, warum wir all the way from Germany hierher kommen, um uns eine verlassene Stadt anzuschauen. Er kann es nicht begreifen. „You are crazy! Detroit is the most dangerous city in the US,“ warnt er uns.

Von Packard Plant hat auch er angeblich noch nie gehört. Sehr seltsam. Trotzdem sollen wir die Fenster geschlossen halten, damit wir nicht überfallen werden, meint er. Mit den Worten „Lasst euch nicht töten!“ verabschiedet er sich.

Will er uns Angst einjagen oder ist hier wirklich allerhöchste Vorsicht geboten?

Packard Automotive Plant

Intuitiv folgen wir der richtigen Straße. Wir kreuzen die 8 Mile, die Eminem berühmt gemacht hat und gelangen zum Packard Automotive Plant, dem verlassenen Gebäude einer ehemaligen Automobilfabrik, in dem seit 1954 keine Autos mehr produziert werden.

Kein Mensch ist in Sichtweite. Wir sind völlig alleine. Zumindest denken wir das.

Detroit Packard Plant

Wir parken vor dem zerfallenen Gebäude und schalten den Motor ab. Sofort schießen mir die warnenden Worte einer Dokumentation durch den Kopf, die ich erst kurz vor meiner Abreise gesehen hatte: „Am Packard Plant sollte man das Auto nicht verlassen, denn hier tummeln sich Autodiebe und Drogenhändler. Touristen mit teuren Kameras sieht man ganz und gar nicht gerne.“

Ich mache es trotzdem. Ich steige aus, jedoch ohne dicke Kamera. Meine Neugierde ist zu groß.

Vorsichtig nähere ich mich dem leerstehenden, einsturzgefährdeten Gebäude. Etwas mulmig ist mir schon zu Mute. Plötzlich schreckt eine Schar von Vögeln auf. Ich zucke zusammen. Danach ist es mucksmäuschenstill, so still, dass ich beinahe meinen Herzschlag hören kann. Ich fühle mich wie in einem schlechten Horrorfilm.

Detroit Packard Plant

Hier, wo einst Luxusautos gebaut wurden, sieht es aus als hätte eine Bombe eingeschlagen. Das Gebäude hat keine Fensterscheiben, Decken sind teilweise eingestürzt. Wo ich auch nur hinsehe Graffitis, Schutt und Dreck.

Schon in den 90er Jahren sollte die Packard Automobilfabrik abgerissen werden, doch der Besitzer gewann den Gerichtsprozess. Die letzten Jahre verbrachte er allerdings wegen Drogenhandel im Knast. Seitdem passiert in der Ruine nichts mehr.

Plötzlich taucht eine Gruppe von schwarzgekleideten Männern auf. Ich sehe sie von weitem auf unser Auto zukommen. Schnell springe ich zurück auf den Beifahrersitz und wir düsen los.

Detroit Packard Plant

Heidelberg Project

Das nächste Ziel auf unserer Detroit-To-Do-Liste ist das mittlerweile weltweit bekannte Heidelberg Project, das weniger als zwei Meilen vom Packard Automotive Plant entfernt liegt.

Ganz nach dem Motto „Aus Müll mach Kunst“ hat der Künstler Tyree Guyton, der in dem Viertel rund um die Heidelberg Street aufgewachsen ist, das Projekt ins Leben gerufen. Zwischen abgebrannten und verlassenen Häusern sammelte er Müll und zauberte daraus Kunstobjekte.

Detroit Heidelberg Project

Neugierig spazieren wir durch die beiden Parallelstraßen, in denen die Häuser mit bunten Punkten bemalt und mit Puppen, Stofftieren und Schallplatten dekoriert sind. An Baumstämmen hängen hunderte von Uhren, die alle eine andere Uhrzeit zeigen.

An  den Zäunen baumeln alte Schuhe, vor den Hauseingängen stehen als Blumentöpfe genutzte Autoreifen. Auf den bunt bemalten Gehsteigen türmt sich meterhoch Trödel und auf den Wiesen stehen zu Kunstwerken verarbeitete Haushaltsgegenstände, Fahrräder und Autos.

Detroit Heidelberg Project

Jedes einzelne Haus des Heidelberg Projects stellt ein Kunstwerk dar, das die Geschichte Detroits erzählen und den Besucher zum Nachdenken anregen soll. Es ist quasi eine Freiluft-Kunstausstellung, die keinen Eintritt kostet. Ich finde es großartig!

Um das Heidelberg Project zu unterstützen, spenden wir einen symbolischen Dollar am gelben Haus gleich am Anfang einer der beiden Straßen und dürfen auf der Hauswand unterschreiben, so wie viele vor uns es bereits getan haben.

Heidelberg Project Detroit

Detroit Heidelberg Project

Detroit Downtown

Von den verlassenen Suburbs, die an eine Geisterstadt erinnern, fahren wir nun Richtung Innenstadt. Schon von weitem erblicken wir die Skyline Detroits, eine Mischung aus Wolkenkratzern und roten Backsteingebäuden.

Je mehr wir uns Downtown nähern, weichen die leergefegten Parkplätze einer belebteren Gegend. Wir sehen tatsächlich Menschen auf der Straße, wenn auch nur wenige.

Detroit Downtown

Obwohl die Einwohnerzahl von Detroit dramatisch gesunken ist, sind Parkplätze in Downtown rar und vor allem teuer. Da uns im Vorfeld mehrmals ausdrücklich geraten wurde, das Auto auf keinen Fall auf der Straße zu parken (es sei denn wir möchten es aufgebrochen wiederfinden) wählen wir die sichere Variante und fahren ins 10-stöckige Parkhaus mit dem Namen „The Z“ in der Library Street.

20 Minuten kosten hier 3 Dollar, das Tagesmaximum beträgt 20 Dollar. Aber der Preis lohnt sich, denn das Gebäude bietet nicht nur bewachtes Parken, sondern ist gleichzeitig eine ziemlich coole Sehenswürdigkeit.

Auf allen Etagen finden wir mit sehr schönen Grafftis besprühte Wände und das Beste: Vom Dach des Parkhauses haben wir einen genialen Ausblick auf die Stadt.

Detroit

Art-déco-Häuser und zerfallene Ruinen

Gleich neben dem Parkhaus befindet sich eine Station des People Mover, eine einspurige Hochbahn auf Betonstelzen. Führerlos zuckelt sie auf Schienen um den Central Business District herum und durch mehrere Gebäudekomplexe hindurch. Die perfekte Möglichkeit, um sich einen Überblick über die Innenstadt zu verschaffen.

Eine komplette Runde mit dem People Mover über 13 Stationen kostet übrigens läppische 75 Cent und dauert circa 15 Minuten.

Wir fahren gleich zwei Runden mit dem People Mover, denn von hier oben haben wir eine gute Sicht auf die City, die Türme von Gerenal Motors und den hellblau leuchtenden Detroit River, der die natürliche Grenze zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten bildet.

Riesige Bürokomplexe, rote Backsteingebäude, wunderschöne Art-déco-Häuser und zerfallene Ruinen ziehen häppchenweise an uns vorbei. Der Erfolg von damals lässt sich nur noch erahnen. Die Vorstellung, dass Detroit einmal die reichste Stadt der USA gewesen sein soll, fällt mir bei dem Anblick dieser Leere verdammt schwer.

Detroit Downtown

Detroit wird das Berlin der USA

Doch so traurig, zerfallen und verlassen die Stadt auch ist, es gibt Hoffnung für Detroit, denn angeblich soll Downtown reanimiert werden. Man spricht von einem milliardenschwerern Investor, der erst kürzlich die Innenstadt aufkaufte und nun neue Unternehmen und Bewohner nach Detroit locken möchte.

Katja Kullmann schreibt in ihrem Buch: „Junge, kreative Leute mit vielen Ideen ziehen ins Zentrum der Asphaltwüste, eröffnen Ateliers und Cafés. Investoren und Stadtplaner schwärmen bereits: Detroit wird das Berlin der USA.“

Die Autorin sprach während ihres Detroit Besuches mit Menschen, die den Niedergang der Motor City miterlebten, mit denen, die geblieben sind und nun das Beste aus ihrer Situation machen und mit denjenigen, die sich aktiv für den Wiederaufbau einsetzen. Wenn dich Detroit genauso fesselt wie mich, möchte ich dir dieses berührende Buch unbedingt ans Herz legen!

Detroit Downtown

Detroits beeindruckendste Ruine

Kurz bevor die Sonne untergeht und die Abenddämmerung einbricht, besichtigen wir Detroits berühmteste Ruine: die alte Michigan Central Station. Bis 1988 war dies ein Großbahnhof, jetzt verfällt das riesige, beeindruckende Gebäude.

Besucher lässt man leider nicht hinein, denn die Ruine ist einsturzgefährdet. Zwar hätte ich die Bahnhofshalle mit ihrer hohen Decke liebend gerne von innen gesehen, aber auch so, vor dem Zaun, bleibe ich eine ganze Weile lang wie angewurzelt stehen und staune.

Detroit Michigan Central Station

Erbaut im Jahr 1913, war die Michigan Central Station einst der höchste Bahnhof der Welt. Während des Zweiten Weltkrieges wurde sie genutzt, um Waffen, Munition und Soldaten auf dem Schienenweg an die Front zu transportieren.

Durch die Konkurrenz von Auto- und Flugverkehr verlor die Michigan Central Station in den 1950er Jahren an Bedeutung. Trotz der Gründung von Amtrak, der amerikanischen Bahngesellschaft, wurden immer weniger Personen befördert und der Bahnhof wurde 1988 offiziell stillgelegt.

Detroit Michigan Central Station
Detroit Michigan Central Station

Seit 27 Jahren ist das zerfallene Gebäude nun Spielplatz für Junkies, Sprayer, Vandalen und Obdachlose. Ab und zu schaut auch mal Hollywood vorbei und nutzt die beeindruckende Ruine als Filmschauplatz. Hier wurden zum Beispiel Szenen von Transformers, Die Insel, Four Brothers und 8 Mile gedreht.

Am 6. Januar 1988 verließ der letzte Zug die Michigan Central Station auf dem Weg nach Chicago. Wir tun es ihm gleich und verlassen schweren Herzens die gefährlichste Stadt der USA, um nach Chicago zu fahren.

Detroit ist die einzige amerikanische Stadt ohne Make-up!

Gerne wäre ich länger in der Motor City geblieben, die mich von der ersten Sekunde an in ihren Bann gezogen hat. Was ich heute gelernt habe? Es ist nicht der Nervenkitzel, nicht der Reiz des Gefährlichen und nicht der Ruinenporno, der mich an Detroit so unglaublich fasziniert.

Vielmehr ist es diese ehrliche Nacktheit der Stadt, die mich fesselt und begeistert. Detroit erzählt Geschichten. Detroit ist authentisch. Detroit ist für mich die einzige amerikanische Stadt ohne künstliches Make-up. Hier wird nichts verschönt, nichts vorgetäuscht und vorgespielt.

Detroit, ich werde wiederkommen!

Warst du schon in Detroit? Wie hast du die Motor City erlebt? Bist du genauso fasziniert oder findest du die Stadt vielleicht sogar schrecklich?

Ich bin sehr gespannt auf deinen Kommentar!

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