Hallstatt: Ein malerisches Dorf wird vom Massentourismus überrannt
Zugegeben, der Blick auf das romantische Dörfchen Hallstatt, das sich ans Ufer des glitzernden Hallstätter Sees schmiegt, ist fast zu schön, um wahr zu sein. Rund um den historischen Dorfplatz stehen uralte Häuser mit Holzbalkonen und hinter dem Kirchturm ragen die verschneiten Berge des Dachstein Massivs Richtung Himmel.
Hallstatt liegt im österreichischen Salzkammergut und ist so hübsch, dass es bereits 1997 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Mittlerweile gilt Hallstatt als schönstes Dorf Österreichs und der Aussichtspunkt an der Gosaumühlstraße als einer der beliebtesten Fotospots Europas. Kein Wunder, denn von hier aus gleicht die Kulisse nicht nur einem Postkartenmotiv, sondern es lässt sich auch ein perfektes Instagram Foto schießen, das mit großer Sicherheit viele Likes einbringt.
Schockierende Realität
Auf Fotos wirkt Hallstatt wie ein verschlafenes Alpendorf – fast so als wäre die Welt hier noch in Ordnung. Leider ist diese Idylle nur die eine Seite der Medaille, nämlich die, die man in den sozialen Medien präsentiert bekommt. Die Realität sieht jedoch anders aus. In Wahrheit platzt Hallstatt aus allen Nähten. Obwohl das beschauliche Dorf nur 780 Einwohner hat, wird es täglich von bis zu 10.000 Touristen aus aller Welt besucht. Rund eine Million Menschen sind es laut Statistik pro Jahr, die sich durch die engen Gassen schieben.
Doch nicht nur das. Sie schießen Fotos, jagen Drohnen über die Grundstücke der Einwohner, veranstalten Lärm, hinterlassen Berge an Müll, trampeln durch Vorgärten und machen selbst vor Privathäusern keinen Halt. Dagegen helfen auch die vielen selbstgebastelten Schilder der Einheimischen nicht, die in sämtlichen Sprachen um Ruhe flehen, Drohnenflüge verbieten und darauf hinweisen, dass Hallstatt kein Museum ist. Sie appellieren an den gesunden Menschenverstand, doch der ist den meisten Besuchern scheinbar abhanden gekommen.
Ein Großteil der Touristen kommt aus Asien. Mit Selfiesticks und Smartphones bewaffnet, stolpern sie aus den Reisebussen, in denen sie ganz Europa in wenigen Tagen kennenlernen. In Hallstatt stoppen sie nur kurz. Um möglichst authentische Erinnerungsfotos von ihrem Trip mit nach Hause zu bringen, leihen sich viele am Ortseingang ein Dirndl to go aus, in dem sie vor der malerischen Kulisse posen. 22 Euro kostet der Spaß für eine Stunde. Diesen Irrsinn toppt nur noch die abgefüllte Hallstätter Luft, die es als Andenken in Dosen zu kaufen gibt.
21.000 Reisebusse pro Jahr
Um dem täglichen Ansturm auf Hallstatt gerecht zu werden, wurde bereits vor einigen Jahren ein Parkleitsystem mit elektronischer Anzeige eingeführt. Doch schon am frühen Morgen sind die Parkplätze rappelvoll. Viele Autos parken deshalb unerlaubter Weise am Straßenrand außerhalb des Ortes, sodass man beinahe das Gefühl bekommt, auf dem Weg zu einem Festival zu sein.
Laut des Vereins Bürger für Hallstatt kamen 2010 nur 3.440 Reisebusse nach Hallstatt. Seitdem steigt die Zahl um 20 bis 30 Prozent pro Jahr an, sodass 2018 bereits 19.344 und 2019 über 21.000 Busse gezählt wurden. Und das sind nur die, die Parkgebühren bezahlt haben. Dazu kommen etliche Busse, die in den Tagesrandzeiten nur mal schnell anhalten sowie die 211.400 Pkws, die in 2019 auf den öffentlichen Parkplätzen registriert wurden.
„Der Lärmpegel der Busse, die mit laufendem Motor parken, ist unüberhörbar und der Abgasausstoß enorm. Das Seeufer ist mit Bussen voll gestellt“, heißt es auf der Seite des Vereins.
Overtourism in Hallstatt
Was in Hallstatt tagtäglich abgeht, ist ein typisches Beispiel von Overtourism. Ein Phänomen des Massentourismus, unter dem mittlerweile viele schöne Orte auf dieser Welt leiden – allen voran Venedig, Barcelona, Amsterdam und Dubrovnik.
„Aus der Attraktivität von Hallstatt ist ein Fluch geworden,“ erklärt Alexander Scheutz, der Bürgermeister von Hallstatt. Dabei hat der Tourismus immer zwei Seiten. Die Positive: Er bringt jede Menge Geld und schafft Arbeitsplätze. So werden zum Beispiel in Hallstatt allein durch die öffentlichen Toiletten, deren Nutzung einen Euro kostet, 150.000 Euro pro Jahr erwirtschaftet.
Die negativen Folgen des Overtourism beinhalten, neben der Umweltverschmutzung, jedoch, dass viele Einwohner Hallstatt als nicht mehr lebenswert empfinden. „Manche Touristen glauben, Hallstatt sei nur Kulisse, eine Art Disneyland, und die Menschen, die hier arbeiten, würden in Hochhäusern hinter den Bergen leben. Die sind manchmal richtig fassungslos, wenn wir denen erzählen: Wir leben hier, mittendrin!“, zitiert der Spiegel den Bürgermeister.
Warum der ganze Hype eigentlich?
Wie konnte es überhaupt soweit kommen, dass so viele Touristen täglich nach Hallstatt strömen? Wie entstand der große Hype? Und woher kommen die Menschen eigentlich alle?
Dass Hallstatt bei den Asiaten so beliebt ist, hat drei Gründe:
1.Seifenoper in Südkorea
2006 wurde im südkoreanischen Fernsehen die Seifenoper Spring Waltz ausgestrahlt, die zum Teil in Salzburg und Hallstatt gedreht wurde. Diese Serie ist der Grund, warum viele asiatische Paare in Anzug und Brautkleid anreisen und ihre Hochzeitsfotos in Hallstatt schießen lassen. Die eigentliche Hochzeit findet dann später in der Heimat statt, bei der die Fotos aus Hallstatt gezeigt werden.
2.Hallstatt-Kopie in China
Hochaufragende Berge, ein glasklarer Alpensee und dazwischen ein malerisches Dörfchen mit jahrtausendealter Geschichte. Aus asiatischer Sicht verkörpert Hallstatt die gesamte Faszination Österreichs. Grund genug, um das Dorf mitsamt Marktplatz, Kirche und See in China nachzubauen. Seit 2012 steht eine Kopie von Hallstatt in der chinesischen Provinz Guangdong. Damals fühlte sich der Bürgermeister von Hallstatt noch geehrt und reiste zur feierlichen Eröffnung mit Blaskapelle an. Mit den Folgen hatte er wohl nicht gerechnet, denn der Nachbau führte dazu, dass nun immer mehr Chinesen das Original in Österreich sehen wollen.
3.Walt Disney Vorlage
Den jüngsten Ansturm in Hallstatt soll der im November 2019 erschienene Disney Film Frozen – Die Eiskönigin ausgelöst haben. Angeblich wurde das Elsas Königreich Arendelle von Hallstatt inspiriert. Dieses Gerücht wurde zwar offiziell nicht bestätigt, aber viele Fakten deuten darauf hin.
Bin ich Teil des Problems?
Schuld am Massentourismus sind aber nicht nur die Asiat:innen. Auch Europäer:innen, vorrangig Österreicher:innen und Deutsche, kommen in Massen angereist, um Hallstatt zu bewundern und ihre Fotos auf Instagram zu teilen. Rund 622.000 Fotos findet man dort alleine unter dem Hashtag #hallstatt.
Wie die meisten von ihnen, habe auch ich mich von den Bildern anlocken lassen, die das märchenhafte Dorf von seiner schönsten Seite zeigen. Schon lange wollte ich Hallstatt besuchen. Als ich im Januar 2020 dort war, hat mich die Realität jedoch geschockt, genervt und vor allem nachdenklich gemacht.
Sicherlich war mir vorher bewusst, dass Hallstatt kein Geheimtipp ist. Mit einem solchen Ausmaß von Overtourism hatte ich jedoch nicht gerechnet. Vor allem nicht in der angeblichen Nebensaison, die laut Geo Saison so beschrieben wird: „Die Dächer der schmucken Häuser am See sind mit Schnee bedeckt. Aus den Schornsteinen steigen feine Rauchwölkchen wie Wattebausche auf. Über das stille Wasser klingen die Glocken der beiden Dorfkirchen.“
Statt romantischem Glockenklang, klingelte es mir beim Spaziergang durch die Gassen ordentlich im Kopf und ich stand mal wieder vor der großen Frage, inwiefern ich selbst Teil des Problems bin. Nicht nur, weil ich an diesem Tag selbst eine der Millionen Besucher:innen war, die pro Jahr nach Hallstatt reisen, sondern vor allem wegen meiner Verantwortung und Vorbildfunktion als Reisefotografin und Bloggerin.
Seitdem ich mich verstärkt mit nachhaltigem Reisen beschäftige, stehe ich immer häufiger vor dem Zwiespalt, den mein Job mit sich bringt. Immerhin lassen sich mittlerweile bis zu 10.000 Menschen pro Tag durch meine Blogbeiträge inspirieren. Rund 50.000 folgen meinem Alltag auf Instagram. Grund genug, um meinen Einfluss auf andere kritisch zu hinterfragen.
Eine Lösung für das Problem des Overtourism habe ich zwar nicht parat, aber was ich für mich selbst entschieden habe: Ich möchte nicht dazu beitragen, dass noch mehr Menschen nach Hallstatt reisen. Stattdessen möchte ich meine Reichweite nutzen, um anderen die Augen zu öffnen, um aufzuklären und um Alternativen zu zeigen. Im Salzkammergut gibt es nämlich noch jede Menge schöne Orte, die weitaus weniger besucht und trotzdem (oder gerade deshalb) eine Reise wert sind.
Wie sieht die Zukunft in Hallstatt aus?
Um die Besucherströme in Zukunft einzudämmen, soll in diesem Jahr ein Slot-System für Reisebusse eingeführt werden. Ab dann müssen Veranstalter vorab einen festen Zeitraum für die Einfahrt buchen und mindestens 2,5 Stunden bleiben. Das Ganze soll auf maximal 45 Busse pro Tag beschränkt werden. Zusätzlich wird die Gebühr auf 150 Euro pro einfahrenden Bus erhöht.
Eintrittsgeld für Hallstatt zu verlangen ist nicht geplant, denn damit gebe man den Einwohnern erst recht das Gefühl in einem Museum zu leben. „Außerdem wollen wir keinen Luxustourismus, den sich eine Familie mit Kindern nicht mehr leisten kann“, sagt Bürgermeister Alexander Scheutz.
Stattdessen erhoffen sich die Hallstätter Qualitäts- statt Massentourismus. Im Klartext heißt das: Reisende, die länger als eine Stunde vor Ort bleiben, die genießen, die die Schönheit bewusst wahrnehmen und nicht nur für ein Instagram Foto kommen. Ich wünsche es diesem kleinen malerischen Dorf von ganzem Herzen.
Warst du schon mal in Hallstatt? Wie hast du das Problem des Massentourismus erlebt? Was denkst du grundsätzlich über das Thema? Ich freue mich auf einen spannenden Austausch.
DAS WIRD DIR AUCH GEFALLEN
Miuh
Liebe Julia, puh, ein schwieriges Thema! Oft sind eben diese von Overtourism betroffenen Orte wirklich speziell und besonders schön! Und anderseits: Wenn wir nun neue, andere aussergewöhnlich schöne Orte -noch Geheimtipps – entdecken und veröffentlichen, geben wir dann diese auch noch dem Overtourism preis? Es sind Themen, die mich gerade mit meinem Geheimtippreisen-Blog immer wieder beschäftigen und vorsichtig sein lassen. Kürzlich erlebt habe ich solche Touristenströme an der Great Ocean Road und war geschockt, obwohl ich eigentlich darauf vorbereitet war. Zum Thema werde ich mir sicherlich auf meinem Blog auch weiterhin Gedanken machen… bisher war ich davon relativ unbehelligt, da ich nicht unbedingt klassischen Insta-Spots nachreise, sondern gerne irgendwo in „unbekannter“ Natur unterwegs bin. Liebe Reisegrüsse, Miuh
Julia
Liebe Julia,
ich wohne ja 3 Orte entfernt von Hallstatt (ca. 30 Autominuten). Und ich fahre wirklich liebend gern hin mit den Kindern baden oder die versteckten Naturwege genießen :-) Aber was sich da die letzten Jahre getan hat, ist grad als Einheimische echt erschreckend. Konnte man früher wenigstens in der Nebensaison in Ruhe den Ort genießen, so scheint diese Nebensaison inzwischen gänzlich verschwunden zu sein. Dieser Massentourismus ist in der Umgebung hier sowieso ein Problem für die Einheimischen, weil dies nicht nur in der Natur bemerkbar wird, sondern auch an immer weiter steigenden Mietpreisen. Also ich verstehe zwar, dass man sehr gerne herkommen möchte, aber man fragt sich echt wo das hin führt und ob das so weiter gehen kann??
Liebe Grüße
Julia
Ulli
Ich war gestern mit dem SUP in Hallstatt. Ich bin Österreicherin, hatte es aber noch nie gesehen. Eben wegen der Masse an Menschen. Dank Corona war es vollkommen Touristenfrei. Es war ein schönes Erlebnis diesen Ort verschlafen zu erleben.
Kirsten
Ich war im September 2021 im Hallstatter Salzbergwerk. Mir ist zu diesem Zeitpunkt absolut nicht aufgefallen, dass der Tourismus hier überhand genommen hat.
Erst heute – durch Ihren interessanten Artikel – habe ich davon erfahren. Den Ort Hallstatt selbst haben wir nicht besucht – nur die Aussicht auf diesen genossen. Wahrscheinlich wäre ich schockiert gewesen, denn mit einem solchen Massentourismus hätte ich nie gerechnet. Aber vielleicht wäre der Ort auch dank Corona „touristenfrei“ gewesen.
Julia
Hallo Kirsten,
wie an allen Orten auf der Welt, die vorher stark mit Massentourismus zu kämpfen hatten, hat sich die Lage in Hallstatt aufgrund der Pandemie entspannt. Ich bin sehr gespannt, wie es sich in Zukunft entwickeln wird.
Viele liebe Grüße,
Julia